außerschulisch – BuKo12 http://www.buko12.de Bundeskongress der Kunstpädagogik 2010 - 2012 Sat, 28 Jan 2017 17:47:28 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.8.1 Tagungsbericht BuKo12 Part08 http://www.buko12.de/2012/06/11/tagungsbericht-buko12-part08/ http://www.buko12.de/2012/06/11/tagungsbericht-buko12-part08/#respond Mon, 11 Jun 2012 10:14:23 +0000 http://www.buko12.de/?p=2206 BuKo12 Part08 – „Interkultur. Kunstpädagogik remixed“
Eindrücke vom Kongress in Nürnberg im April 2012

„Stellen Sie sich vor, eine junge Frau aus Istanbul studiert in Boston deutsche Kultur und setzt sich dort mit den Filmen von Fatih Akin auseinander… Was passiert in einer solchen Konstellation? Rezipiert eine Türkin deutsche Kultur?“ (Paul Mecheril auf dem Kongress)
„Was muss passieren, damit die Mehrheit den Begriff ‚deutsch‘ nicht mehr über Abstammung, sondern über den Lebensmittelpunkt definiert?“ (Frage einer Kongressteilnehmerin)
„Ich bin jemand, der den Begriff ‚Integration‘ überhaupt nicht mehr verwendet. Er wird in unserer Öffentlichkeit so schrecklich verwendet, dass ich ihn nicht mehr verwende. (…) Es geht darum, dass wir kulturelle Vielfalt leben lernen.“ (Rolf Witte auf dem Kongress)

Es war ein Kongress, der von vielen Fragen und der Suche nach ersten Antworten geprägt war: Wie können Lernchancen im Bereich des Bildlichen für alle Kinder und Jugendlichen erschlossen, gewahrt und ausgeweitet werden? Wie können ästhetisch basierte Prozesse der Identitätsentwicklung in unserer Einwanderungsgesellschaft initiiert und die Potenziale von Migration in kunstpädagogischer Arbeit genutzt werden? Diese und ähnliche Fragen an den Schnittpunkten von Interkultur und Kunstpädagogik standen im Zentrum des dreitägigen Kongresses in Nürnberg, der von Barbara Lutz-Sterzenbach (BDK Bayern), Ansgar Schnurr (Technische Universität Dortmund) und Ernst Wagner (UNESCO-Lehrstuhl Kulturelle Bildung, Universität Erlangen-Nürnberg) organisiert wurde. Der Kongress war der achte „Part“ in einer Reihe von Veranstaltungen im Rahmen des Bundeskongresses 2010–2012, der vom 19-21.10. in Dresden seinen Abschluss finden wird.

In Nürnberg war es das Ziel, „gemeinsam zu Ideen zu kommen, für die Theorie und Praxis“, so die Veranstalterin Barbara Lutz-Sterzenbach. Die Erfahrungen aller Teilnehmenden sollten dezidiert eine Rolle spielen und in das vor Ort gemeinsam erstellte „Nürnberg-Papier“ einfließen.

„Ist das Fach Kunst im interkulturellen Bildkontext gut aufgestellt?“ fragte Clemens Höxter (Bundesvorsitzender des BDK) gleich zu Anfang in seinem Grußwort. Er erörterte auch, ob einige der in der Praxis anzutreffenden Verfahren und Methoden Interkultureller Pädagogik möglicherweise sogar dazu beitragen, den Status Quo der Diskriminierung und strukturellen Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund nicht etwa zu überwinden, sondern vielmehr zu festigen. Es sei nicht leicht, so Höxter, dem Anspruch Interkultureller Pädagogik jenseits von Folklore und Mandalas gerecht zu werden.

Veranstalter Ansgar Schnurr (Technische Universität Dortmund) erläuterte den titelgebenden Begriff des Remix, eine Durchmischung und Neuordnung: Einerseits solle es um die Subjekte und Lerngruppen in Bildungszusammenhängen gehen, so Schnurr. Hier sind vermischende Neuordnungen in Lebenswelt und Gesellschaft im Zuge von Migrationsbewegungen und globalen Ausdifferenzierungen relevant. Andererseits bezeichnet Remix die sich durch Migrationsbewegungen und Globalisierung neu organisierenden Bildwelten, mit denen Kunstpädagogik arbeitet. Schließlich soll Remix auch die Kunstpädagogik und das professionelle Denken einschließen: Vorstellungen und Handlungspraxen im Zusammenhang mit Migration und Globalität werden durchmischt und produktive Neuordnungen angestoßen.

Bestandsaufnahme

Am ersten Tag erfolgte eine Bestandsaufnahme: Von welcher Situation müssen wir eigentlich ausgehen? Mit welchen Begriffen sprechen wir über die jetzige Situation? Forschungsergebnisse und Erhebungen wurden referiert. Immer wieder spielte in den Redebeiträgen und Diskussionen reflexiv unsere Sprache eine Rolle: Wie sprechen wir über Migration, über Menschen mit Migrationshintergrund, über Kultur? Mit welchem Kulturbegriff arbeiten wir überhaupt? Welche Rolle spielen Stereotypen und somit auch mögliche Stigmatisierungen? Werden wir vielleicht Menschen irgendwann nicht mehr über ihre Herkunft thematisieren? Wird Kultur und Gesellschaft so pluralisiert und fragmentiert, dass große Sinnsysteme keine Gemeinsamkeit mehr stiften? Wie verändern sich kulturelle Praktiken durch Migrationserfahrung? Kann Kunst einen Beitrag zu mehr Integration leisten? Wie schafft sie das?

Der Psychologe Paul Mecheril (Universität Oldenburg) zog sein Fazit gleich zu Anfang seines Vortrags und betonte das Vergnügen, das für ihn darin bestehe, die Wahrnehmung der Wahrnehmung von Unterschieden zu ermöglichen und zu reflektieren. Er wolle „Wahrnehmungsordnungen ironisieren“ und hätte „Sympathie für das „Außerordentliche“ (jenes, das sich dem Ordnenden nicht gleich fügt – freilich von ihm hervorgebracht wird)“. Kunstpädagogen gewinnen kein Alleinstellungsmerkmal, so Mecheril, wenn sie sich mit dem Thema Migration beschäftigen, denn das tun viele – aber eben noch nicht so lange. Durch Migration entstehen neue Räume – es wird zunehmend schwieriger von „deutscher Kultur“ zu sprechen, die Veränderungen sind schnell und Kultur ein dynamischer Prozess.

Der inhaltlich dichte Tag endete mit einer Theateraufführung von Nürnberger Schülerinnen und Schülern und einer Performance-Lecture der Münchner Kammerspiele – hier wurde Interkulturalität praktiziert und theatral diskutiert.

Kerngeschäft

Am zweiten Tag ging es um „das Kerngeschäft“, die schulische und außerschulische Kunstpädagogik. In diversen Workshops wurden schulimmanente Projekte vorgestellt wie auch Kooperationen zwischen Künstlern, Kultureinrichtungen, Bildungseinrichtungen und Schulen. Die Bandbreite reichte von Lernen anhand traditionellen türkischen Schattentheaters zu einem Projektseminar über muslimisches Leben in Nürnberg; von einer fotografischen Auseinandersetzung von Hauptschülern mit dem Begriff „Heimat“ bis hin zu nonverbalen Vermittlungsmethoden im Museum, um Sprachbarrieren zu überwinden. Ziel der Workshops war auch, Thesen zu interkultureller Kunstpädagogik zu formulieren: als Diskussionsgrundlage für den dritten Tag.

Der Kunstpädagoge Ernst Rebel (Ludwig-Maximilians-Universität München) gab am Vormittag einen Überblick über die Vorgeschichte der interkulturellen Kunstpädagogik in Deutschland (1900-2000) und wies darauf hin, dass eine Interkulturelle Kunstpädagogik mehr sein müsse, als eine Thematisierung des Fremden – ein bloßer Differenzverweis reiche nicht aus. Ließe sich Interkulturelle Kunstpädagogik als neues Unterrichtsprinzip verstehen? Ließe sich eine dialogische Praxis, eine gleichberechtigte Teilhabe, in Bildungspraxis verankern? Wichtig sei es, so Rebel, die Differenzen nicht einzuebnen, also immer Wegbarkeiten zwischen Kontakt und Konflikt zu schaffen. Irritationen und Spannungen müssten ausgehalten werden und Umgangsweisen müssten auf wechselseitigen Respekt zielen.

Birgit Dorner (Katholische Stiftungsfachhochschule München) fragte in ihrem Vortrag: Was machen wir eigentlich in unserer kunstpädagogischen Arbeit sichtbar? Sie nannte als eine Leitlinie für Interkulturelle Kunstpädagogik: Kunstpädagogen werden aufgefordert, bei der Betrachtung von Bildwerken den Fokus auf den soziokulturellen Kontext zu richten – in welchem System ist ein Objekt entstanden? In welchem System sind unsere Beurteilungskriterien entstanden? Für Lehrende sei das Erkunden fremder Welten – nicht mit Distanz, sondern als eine „liebevolle Weltwanderung“ (Dorner) – immer mit dem Blick auf sich selbst zurück verbunden.

Im Vortrag von Rolf Witte (Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung, BKJ) wurden konkrete Ziele einer möglichen Interkulturellen Kunstpädagogik genannt, z.B. die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und Prägung, Sensibilisierung für gesellschaftliche Vielfalt, Wahrnehmung von Diskriminierung, Stärkung solidarischen Handelns und Förderung der Partizipation von Minderheiten. Aber es gebe auch Stolpersteine, so Witte: Folklore oder Verfremdung kultureller Handlungsweisen gelte es zu vermeiden. Vorurteile und Stereotypen müssten bewusst gemacht und Differenzierungen aufgezeigt werden.

In einer Podiumsdiskussion am Nachmittag mit Vertreterinnen und Vertretern aus den Bereichen Sport, Kunst, Musik und Theater wurde deutlich, wie unterschiedlich die Ansätze in den ästhetischen Fächern sind – und wie doch alle das Potenzial in der Vielfalt sehen: Im Fremden das Eigene aufdecken, verstehen und relativieren. Ein genussvoller Abend mit internationalem Buffet, Modenschau und Tanz bildete den Abschluss dieses anregenden und dichten Tages.

Nürnberg-Papier

Das nächtliche Arbeiten am Nürnberg-Papier führte zur Vorlage erster Thesen am dritten Tag. Allen zugänglich gemacht konnten sie Eingang in Fragen und Statements auf dem Podium und im Publikum finden. Deutlich wurde, dass ein Weiterdenken und Weiterarbeiten notwendig ist, dass der Kongress jedoch ein Anfang war. Max Fuchs (Deutscher Kulturrat) betonte, dass ästhetische Bildung als Grundprinzip von Schule begriffen werden solle, dass Kunst in der Schule durchgängiges Prinzip für die Gestaltung einer neuen Schule sei, nicht nur guter Kunstunterricht.

Wieder wurden Fragen gestellt: Was kann Kunst, was kann Kultur eigentlich bewirken? Wie schaffen wir es, dass das Thema Interkultur die parteipolitische Bühne verlässt und auf der Ebene der Menschen ankommt? Wie gehen wir mit unterschiedlichen Bildsprachen um? Wie erreichen wir die Menschen in ihrem speziellen Umfeld? Welche Visionen brauchen wir?

Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani zeigte am Ende der drei Tage in einer bemerkenswerten Lesung aus seinen Bildansichten christlicher Kunst, wie universell Bildsprache über die Grenzen von Herkunft, Nation oder Religion hinaus wirkt und wie präzise und doch poetisch Sprache in der Beschreibung ästhetischer Erfahrungen sein kann.

Ausblick

Die Nürnberger Tagung war insgesamt reich an Impulsen und Praxisbeispielen, wie Arbeit an den Schnittstellen unterschiedlicher Kulturen, wie kunstpädagogische Praxis mit einer Vielfalt von Bildwelten und kulturellen Hintergründen gelingen kann. Jetzt gilt es, weiterzudenken, Projekte zu entwickeln und durchzuführen – und den Diskurs beim BuKo-Abschlusskongress in Dresden fortzusetzen. Das Nürnberg-Papier finden Sie hier: Part08_Nuernberg-Paper_22042012.

 

Autorin: Sara Burkhardt
Fotos: Roland Baege

 

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Fazit: Kolloquium Ästhetische Bildung http://www.buko12.de/2012/01/16/fazit-kolloquium-asthetische-bildung/ http://www.buko12.de/2012/01/16/fazit-kolloquium-asthetische-bildung/#respond Mon, 16 Jan 2012 09:25:07 +0000 http://www.buko12.de/?p=1625 Ausgehend von den Expeditionen Ästhetische Bildung im Rahmen des Bundeskongresses der Kunstpädagogik, trafen sich am Freitag, den 13.01.2012, Vertreter/innen der Kunstpädagogik an der Universität Hamburg zum Auftakt eines institutionsübergreifenden Gesprächs. Elf Lehrende von Schule und Hochschule, Studierende und Referendarinnen berieten über Möglichkeiten der zukünftigen Kooperation und Vernetzung, sowie über potenzielle Reflexionsformen der kunstpädagogischen Vermittlung. Im Sommersemester soll dieser Dialog kontinuierlich weitergeführt werden. Dazu werden rechtzeitig Veranstaltungen bekannt gegeben. Interessierte wenden sich bitte an andrea.sabisch@uni-hamburg.de.

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Bericht Part 02: Achte Expedition Ästhetische Bildung http://www.buko12.de/2012/01/10/bericht-part-02-achte-expedition-asthetische-bildung/ http://www.buko12.de/2012/01/10/bericht-part-02-achte-expedition-asthetische-bildung/#respond Tue, 10 Jan 2012 15:52:58 +0000 http://www.buko12.de/?p=1617 Die achte Expedition Ästhetische Bildung fand an der Hamburger Stadtteilschule Eidelstedt statt.  An dieser Schule können Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse an einem Tag in der Woche ihr so genanntes „Profil“, in diesem Falle „Kunst“ studieren. 

In sechs zusammenhängenden Stunden erfahren sie, wie es ist, über Monate an einem selbst gewählten Thema individuell und im Team zu arbeiten. Die 10. Klasse im Kunstprofil von Julie Heitmann wählte das Thema: „Alice – Bist Du im Wunderland?“ Nachdem die Schülerinnen und Schüler mit der engagierten Lehrerin schon viel zeitgenössische Kunst in Berliner und Hamburger Museen und Galerien (u.a. die Wunder-Ausstellung in den Deichtorhallen) kennengelernt hatten, sollten sie an diesem Tag ihre individuellen Projekte fertigstellen und präsentieren.

Eine Aufgabe bestand darin, Szenerien aus „Alice im Wunderland“ auf die eigene Schule zu übertragen, sich entsprechende Orte zu suchen und räumliche Modelle, Grundrisse und Gestaltungsideen zu entwerfen, an denen die Szenen als Bühnen für ein Theaterstück in mehreren Loops entwickelt werden können.  Alle Teilnehmenden (Hochschullehrende, Studierende und Referendare) fühlten sich von diesem individualisierten Unterricht in den Bann gezogen: Neben einem von den Schülerinnen und Schülern entworfenen visuellen Blog http://alice-bistduimwunderland.blogspot.com/, wurden die unterschiedlichsten Modelle gebaut, Ansichten gezeichnet, tagebuchartige Eintragungen in ein Kunstheft aufgezeichnet,  Streetart-Ideen zu Alice umgesetzt, die Kunstbibliothek genutzt, Software für 3-D-Darstellungen oder Grundrisse ausprobiert, Kostenvoranschläge erstellt, Zeit- und Ablaufpläne zur Realisierung angefertigt und über Probleme der Darstellung gesprochen.

Beeindruckend war die Kombination aus einer konzentrierten und individuellen Herangehensweise von Einzelnen und Teams als auch aus einer ansteckend herzlichen und offenen Arbeitsatmosphäre, die im Wechselspiel mit der verbindlichen und überaus kompetenten Lehrerin Julie Heitmann entstand. Dies zeigte sich auch daran, dass in der gemeinsamen Reflexion der Expedition noch einige Schülerinnen freiwillig blieben, um mitzusprechen und zuzuhören. Insgesamt hinterließ dieser Tag bei allen Teilnehmenden sehr eindrucksvolle Momente, die zahlreiche Ideen und Motivation für eigene innovative Unterrichtsprojekte und neue Kooperationen entstehen lassen.

 

 

 

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Tagungsbericht BuKo12 Part05 http://www.buko12.de/2011/12/09/tagungsbericht-buko12-part05/ http://www.buko12.de/2011/12/09/tagungsbericht-buko12-part05/#respond Fri, 09 Dec 2011 15:50:42 +0000 http://www.buko12.de/?p=1543

„Wir brauchen eine riesige Vision, mit methodischen Mätzchen kommen wir nicht weiter!“

Bundeskongress der Kunstpädagogik 2010-12, Part05 – Kunstpädagogik im Kontext von Ganztagsbildung und Sozialraumorientierung

Die räumliche Dimension von Bildungsprozessen und die darin liegenden Potenziale der Kunstpädagogik innerhalb der Ganztagsbildung waren Mittelpunkt des fünften Teils des BuKo12, der am 11. und 12. November 2011 an der Universität in Erfurt stattfand. Als eine von insgesamt acht dezentralen Plattformen im Vorfeld der Abschlussveranstaltung im Oktober 2012 war auch Part05 als eigenständige Fachtagung konzipiert und wurde von Prof. Dr. Ulrike Stutz (TU Erfurt) in Kooperation mit der Fachstelle „Kultur macht Schule“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ e.V.) im Rahmen der MIXED UP Akademie und mit Unterstützung der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) im Rahmen des Programms „Ganztägig Lernen“ organisiert.

Mit einem Verweis auf das historische, nur alle 100 Jahre vorkommende Datum (11.11.11) überbrachte Wolfgang Zacharias (BJK) sein Grußwort an die rund achtzig Tagungsteilnehmer/innen. Die Elf als kleinste Schnapszahl, unheilig und entgrenzend, da sie um 1 die Zahl der Zehn Gebote übertritt, sei daher mehr als passend für die Kunstpädagogik, die sich – wie der Karneval – Überschreitung, Transformation und Irritation zu Eigen mache. Und so durchblätterte er die historischen Wurzeln und Entwicklungslinien der Kunstpädagogik seit den 1970er-Jahren in einem beeindruckenden Kaleidoskop aus biografischem Hintergrund, reflektierter Praxis und aktuellen Diskursen. Er zeigte, wie Geist und Dynamik der 1968er-Jahre auch die Kunstpädagogik mobilisierte und Gruppen wie KEKS u.a. mit künstlerischen und pädagogischen Verfahren Möglichkeitsräume schufen, die bereits damals die heute so vielfach geforderten Schlüsselkompetenzen Kreativität, Innovation und Flexibilität beförderten. Mit spielerischen Strategien der Raumbesetzung und des symbolischen Protestes wurde vielfältig experimentiert, worauf später fundierte pädagogische Programme folgten, die auf lokaler Ebene in tragfähige kommunale Strukturen überführt werden konnten. International abgesichert wurde dieses lokal erkämpfte Recht auf kulturelle Bildung im Verlauf der letzten 30 Jahre etwa durch die UN-Kinderrechtskonventionen, die Empfehlungen der Enquete-Kommission oder auch der Seoul Agenda.

In den vielen Beispielen und Aktionen von Zacharias wurde deutlich, wie Stadt als symbolisches Trainingsgelände zur aktiven gesellschaftlichen Beteiligung genutzt werden kann. Und auch das Resümee des Roundtable unterstrich, dass das Potenzial in der Konfrontation von Kunst in ihrer Ereignishaftigkeit liege, als einmaliges ästhetisches Erlebnis sowie emotionale und soziale Erfahrung, wenn sie das eigene Selbst einbeziehe. Daher: Schulhöfe öffnen, raus aus der Schule, rein in die Lebenswelten! (Zacharias)

Das Schulgebäude für einen bestimmten Zeitraum zu Gunsten anderer Orte zu verlassen, die aus dem Schulalltag herausgelöst neue Lehr- und Lernmöglichkeiten bereitstellen, war auch Schlussfolgerung von Kirsten Winderlichs Beitrag. Die Kontextverschiebung ermögliche es, dass die urbane Umgebung Lehr- und Lernprozesse steuere und so interdisziplinäres Forschen und Erkunden durch sinnliche, ästhetische und künstlerische Gestaltung im Vordergrund stehen kann. Beispielhaft sei dies an der Montessori-Oberschule in Potsdam gelungen, die ein wildes Gelände im nördlichen Umland gepachtet hat. Schüler der 7. und 8. Klasse rekultivieren das Gelände in Kooperation mit Lehrern, Bootsbauern, Landwirten und Designern. Die Landwirtschaft spiele dabei eine genauso große Rolle wie die Renovierung von Häusern.

Generell plädierte sie für einen performativen Raumbegriff und dafür, „Unfertiges“ zu bauen. Dies ermögliche einerseits, Schüler an Raumgestaltungsprozessen zu beteiligen und sie mit ihren Perspektiven, Wünschen und Träumen einzubinden. Andererseits erlaube eine räumliche Performativität Spiel- und Gestaltungsmöglichkeiten sowie ein breites Spektrum für Interpretationen und individuellen Bedeutungsebenen. Schulraum biete durch seine ihn konstituierenden Elemente ganz konkrete Bildungsmöglichkeiten: Wand, Boden, Decke, Mobiliar, Oberflächen, aber auch Lichtführung, Temperatur, Gerüche und Geräusche schaffen ästhetische Erfahrungen und haben Auswirkungen auf Lernatmosphären. Eine flexible Nutzung, und sich daraus ableitende vielfältige Bildungsgelegenheiten schaffen eigene Orte für individuelle Themen und Fragestellungen. Hier könne sich Kunstpädagogik noch viel gezielter in die Zwischenzeiten und Zwischenräume von Unterricht trauen. Damit sei den Schülern die Chance gegeben, Schulraum als Ort der individuellen Äußerung für eigene kulturelle und ästhetische Praktiken und Anregung, sich alleine oder gemeinsam mit anderen der Welt zu nähern und sich mit dieser auseinanderzusetzen.

Plastisch im doppelten Wortsinn führte die Künstlerin Susanne Bosch den Anwesenden vor Augen, dass das Handeln jedes Einzelnen gesellschaftlich gestaltend ist, indem sie Knete durch die Hörsaalreihen gab und zum Mitformen aufforderte. Wer nicht formen will, darf die Knete auch einfach nur weitergeben. Deutlich wird dennoch: Jede Bewegung hinterlässt ihre Spuren im Material. Mit der Äußerung: „Mal gucken, ob am Ende ein Kunstwerk entstanden ist“, spielt Bosch auf den erweiterten Kunstbegriff von Joseph Beuys an. Seine Vorstellung „Jeder Mensch ist ein Künstler“ spricht jedem die Möglichkeit zu, plastisch auf Gesellschaft einzuwirken und zu ihrem Wohle beizutragen. Voraussetzung sei, dass Fantasie und Offenheit gefördert werden: „Jeder ist Künstler, der aktiv und bewusst am Leben teilnimmt. […] Demokratie ist eine Idee im Werden.“ (Bosch)

Die Prinzipien aktiver Bürgerschaft und partizipatorischer Demokratie liegen allen künstlerischen Projekten – darunter auch ihre eigene Praxis – zugrunde, die Bosch in ihrem Vortrag präsentierte, um daran die soziale Wirksamkeit von Kunst zu diskutieren. Im sozialräumlichen Kontext sei es vor allem „Kunst im öffentlichen Interesse“, die die Zusammenarbeit mit sozialen Gruppen herstelle, die Kreativität des Einzelnen anspreche und einen Dialog in Gang setze. Anders als Kunst im öffentlichen Raum befasse diese sich stärker mit sozialen Themen als mit der baulichen Umgebung oder ästhetischen Anliegen. Sie zielt auf die Entwicklung eines politischen Bewusstseins, das der Frage „Wie kann man mit dem Gefühl von Machtlosigkeit umgehen?“ mit einer künstlerischen Haltung begegnet, die andere Lösungsmodelle in der Auseinandersetzung des täglichen Lebens sucht sowie Zeit und Raum für die Imagination einer möglichen Zukunft bietet.

Öffnet sich Schule zu ihrem Umfeld und knüpft an sozialräumliche Kontexte an, tritt sie in Kooperation mit verschiedenen Partnern, die ihr eigenes institutionelles Selbstverständnis mitbringen. Bildungsallianzen zu entwickeln, verläuft deshalb nicht immer ohne Befürchtungen, Vorurteile und Hilflosigkeit, da unterschiedliche Systemstrukturen, Formate und Professionalisierungsvorstellungen aufeinander treffen. Wie schafft man hier neue Synergien und Kontexte, um die Beziehung zwischen Schule und Sozialraum zu vergrößern? Kooperation an Ganztagsschulen bedeutet vor allem für die unterschiedlichen Beteiligten aus Bildung und Kultur ein Lernfeld: Was kann der Andere bieten? Wie kann sich bestehendes ergänzen? Wie können Angebote ineinandergreifen?

Einen ganzen Strauß an Empfehlungen präsentierte Gisela Wibbing, damit eine Schule Kultur in ihrem Programm verankern und ein kulturell geprägtes Schulprofil entwickeln kann. Voraussetzung sei der Wunsch, kulturelle Bildung zu verstetigen, ab und zu Kultur anzuregen, genüge nicht. Kulturelle Schulentwicklung umfasse dabei alle Ebenen der Schule: Lehr- und Lernsituationen, den Lehrplan, die Vernetzung im Sozialraum und die Zusammenarbeit mit Bildungspartnern, die organisatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen und die Qualitätsentwicklung und Qualifizierung des Personals.

Steht regelmäßig Kunstpädagogik auf dem Lehrplan haben Schüler vielfältige Vorteile. Internationale Untersuchungen, wie die 2004 von der UNESCO in Auftrag gegebene Studie „The Wow Factor“ von Anne Bamford zeigen, dass Schüler insgesamt bessere Leistungen und höhere Abschlüsse erzielen, sich leichter auf Unterrichtsinhalte konzentrieren können, aber auch in Bezug auf Sozialverhalten und Persönlichkeitsentwicklung sehr profitieren, wenn kulturelle Bildung Teil ihres Schulalltags ist. Kunst und Kultur im Unterricht sollte natürlich allen Schülern zuteil werden. Außerdem sollten möglichst viele Sparten der kulturellen Bildung abgedeckt sein, was sich durch das Modell eines aufeinander aufbauenden Karussells umsetzen lasse: Die Sensibilisierungsphase für die Jahrgänge 5/6 (z.B. acht kulturelle Angebote, die jeweils nach einem viertel Jahr wechseln). Anschließend folgt die Professionalisierungsphase für die Jahrgänge 7/8, entdeckte Fähigkeiten werden verfeinert. Schließlich stärkt der Werkstattbereich für die Jahrgänge 9/10 Synergien.

Zehn Jahre, so die Einschätzung von Gisela Wibbing, benötigt eine Schule hin zur Kulturschule. Kein Wunder, wenn sich zwischendurch Gefühle von Machtlosigkeit und Frustration einstellen. Denn Hürden gibt es nicht nur zahlreiche bei der Kooperation mit außerschulischen Partnern, sondern vor allem im streng hierarchischen System Schule selbst: „Betonrealität“, präzisiert eine Teilnehmerin des Roundtable. Ohne dass die Schulleiter eine Vision oder wenigstens die Affinität zu Kultur haben und aus der Lehrerschaft heraus ein Kulturkoordinator ernannt wird, ließe sich der Weg nicht beschreiten. Das bringt ein weiteres Roundtable-Gespräch noch stärker auf den Punkt: Neue Schulen bedürfen neuer Lehrer, und dies müsse schon in der Ausbildung an den Hochschulen ansetzen. Der neue Lehrer solle sich – zwar entspannt und gelassen, aber mit Herz und Leidenschaft – der Verantwortung und Freiheit bewusst sein, dass er Mitgestalter von Schulentwicklung ist.

Wenn Lehrer ihre Rolle als Wissensmonopolisten aufgeben, haben sie die Chance, wieder zur Avantgarde in der Bildungsgesellschaft zu werden. Diesen Gedanken von Norm Green, einem der Verfechter des kooperativen Lernens, legte Arno Lang seinen Ausführungen zugrunde und sagt: „Wir brauchen eine riesige Vision, mit methodischen Mätzchen kommen wir nicht weiter!“ In der Neugestaltung von Unterricht bedürfe es eher eines Quantensprungs und dennoch gehe es nur zu Fuß dorthin, resümiert er den langen Weg zur 2007 realisierten Gründung der freien Ganztagsschule LEONARDO in Jena. Während der erste Unterrichtsbetrieb mit 15 Schülern, zwei Lehrern und zwei Praktikanten begann, ist die Schule inzwischen auf über 80 Schüler angewachsen.

Schule sei der Bereich, in dem man demokratische Gesellschaft lernen könne. „Wir müssen heute vor allem das soziale Miteinander ausbilden, demokratische Strukturen und Vorgänge müssen sich im täglichen Leben der Schüler, in ihren Klassenräumen und an Schulen abbilden“, so Lange. Die Rolle des Lehrers wandle sich dann zu dem eines Coachs, der demokratische Prozesse moderiert. Die Ganztagsschule als Lern- und Lebensraum kann solche Ansätze aufnehmen und den Schülern verschiedene Felder der Partizipation ermöglichen. An der LEONARDO Schule bieten z.B. Klassenrat und Schulkonferenz Beteiligung an grundsätzlichen Entscheidungen, doch auch die verschiedenen Formen des Unterrichts ermöglichen in unterschiedlichen Graden Partizipation, z.B. als Projekt-Lernen, als Lernbüro (Freiarbeit) und als Werkstatt (Arbeitsgemeinschaften). Und selbst der „glorreiche Frontalunterricht“ (Lange) wandle sich, wenn Schüler anstatt Lehrer vorne stehen: „Plötzlich hat man Profis in der Klasse!“. Das individuelle Wissen und die eigenen Ideen werden dabei aktiv in den Lernprozess mit eingebracht, was Lernmotivation und damit den ganzen Lernprozess fördert. Das kann man, nach Lange, „ganz einfach hinkriegen“, wenn man nicht die Hausmeisterfirma engagiert, sondern die Wände selbst anmalt.

Sozialraumorientierung bedarf der Sozialraumanalyse. Welche Orte frequentieren Kinder eigentlich in ihrer Stadt? Wo bewegen sie sich und was bewegt sie dort? Wie kann Schule die persönlichen Territorien ihrer Schüler wahrnehmen und visualisieren? Beispiele dafür wurden in einem der abschließenden Roundtable präsentiert: Die Stadtgebietskarte, inmitten des Schulfoyers aufgehängt, könne die Stadtzugänge und -aneignungen der Schüler sichtbar machen. Im Sinne des cognitive mappings könnten sie ihre individuellen Wege und Orte auf der Karte entsprechend markieren, und bei Stadtspaziergängen vom Perlenladen bis zum Probekeller ihre Wahrnehmung und Nutzungsweisen aufzeigen.

Daraus ließen sich vielfältige Strategien wie Marktplätze, Kooperationen, Austausch und Vernetzung vom Frisör bis zum Stadteilpolitiker initiieren mit dem langfristigen Ziel der Orientierung und Vergewisserung in den Territorien. Und damit schloss sich der Kreis zum Einleitungsvortrag von Wolfgang Zacharias und seiner Referenz an die kunstpädagogische Tradition eines Gunter Otto (1987): „Inhaltsüberlegungen, die die Territorien nur akzeptierten, statt sie zu bearbeiten, geraten in die Gefahr, die Intersubjektivität zu verfehlen. Diese Spannung muss Schule reflektieren und aushalten!“ Die Kunstpädagogik, besser noch die ästhetischen Anteile aller Lernprozesse, hätten also zwei Aufgaben: Territorien erfahren, erleben und erkunden helfen sowie Karten machen zu lehren.

Mag sich die Erfurter Tagung auch etwas mehr Narrenfreiheit in Bezug auf ihr performatives Format erlaubt haben können, so lag ihre Stärke unbestritten in den inhaltlich hochwertigen und facettenreichen Beiträgen sowie in der gelungenen Verzahnung theoretischer Analyse mit einer enormen Fülle an Beispielen für die Anwendung in der Praxis. Und dies trieb bereits kurz vor Kongressende eine erste Blüte: David Scheitz, Studierender an der Universität Erfurt, und Arno Lange gründeten spontan ein Freies Seminar zur demokratischen Schule, das im Sommersemester starten wird. Ein Blog mit der Adresse http://dsds-ss12.blogspot.com wird umgehend eingerichtet. Und so endete in Erfurt BuKo12 Part05 mit einem Aufruf zum Anfang: „Bitte posten, was eine gute Schule ist!“

 

Autorin: Carina Herring

 

Carina Herring, freie Kuratorin und Autorin Berlin/Marseille, von 2004 – 2010 Projektleiterin der Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine, Berlin.
Initiatorin folgender Projekte: COLLABORATION.Vermittlung.Kunst.Verein. Ein Modellprojekt zu zeitgemäßen Formen der Kunstvermittlung an Kunstvereinen, 2008-2010. CROSSKICK – Europäische Kunsthochschulen zu Gast in Deutschen Kunstvereinen. Ein internationales Programm zu künstlerischer Lehre und kuratorischer Praxis mit 13 Kunstvereinen und 30 europäischen Kunsthochschulen, 2006-2009.

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Bericht Part 02: Fünfte Expedition Ästhetische Bildung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt http://www.buko12.de/2011/07/10/bericht-part-02-funfte-expedition-asthetische-bildung-in-der-schirn-kunsthalle-frankfurt/ http://www.buko12.de/2011/07/10/bericht-part-02-funfte-expedition-asthetische-bildung-in-der-schirn-kunsthalle-frankfurt/#respond Sun, 10 Jul 2011 12:43:40 +0000 http://www.buko12.de/?p=900 Die fünfte Expedition Ästhetische Bildung fand am 9. Juni 2011 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt statt. 16 Kunstpädagog/innen aus Frankfurt, Mainz, Wiesbaden und Berlin und Hamburg trafen sich, um den kollegialen Dialog über Kunstvermittlung vor Ort zu diskutieren. Im Zentrum stand dabei die Frage, wie man Vorstellungen und Imaginäres im Kontext von Ästhetischer Bildung thematisieren, aktivieren und kontextualisieren kann. Das Besondere dieses Austauschs war die gemischte Zusammensetzung der beteiligten Expertisen, bzw. Professionen: Drei Lehrerinnen, zwei Referendarinnen, vier Museumspädagog/innen, drei Studierende, zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und zwei Professor/innen aus unterschiedlichen institutionellen und regionalen Perspektiven.

Nach einem kurzen Vortrag zur kunstpädagogischen Arbeit im Museum (Hofmann), stellte die Leiterin der Kunstvermittlung der Schirn (Dr. Eschenfelder) mit ihrer Kollegin Rauber die eigenen Arbeitsweisen, Formate und Angebote vor. Unter der Leitung von dem freien Kunstpädagogen und Lehrbeauftragten Fabian Hofmann und Prof. Dr. Andrea Sabisch konnten die Teilnehmenden zwischen zwei Zugängen und Ausstellungen wählen. Während eine Gruppe bei der Führung zur Ausstellung von Francesco Clemente hospitierte, um diese im Hinblick auf die Öffnung für Imaginäres zu befragen, entwarf die zweite Gruppe zur Ausstellung der zypriotischen Künstlerin Haris Epaminonda eigene Ideen für Imaginationsbildungen, die in der Kunstvermittlung Anwendung finden können. Ein gemeinsames Gespräch über die verschiedenen Weisen der Vermittlung in Bezug auf die Exponate und eine zukünftige Vernetzung beendet den diskussionsfreudigen und anregenden Nachmittag.

Expedition in die Schirn-Kunsthalle

Teilnehmende bei der Diskussion

Fabian Hofmann

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