Tagungsbericht BuKo12 Part01
Posted: 07.12.2010 | Tags: Kunst, Kunstpädagogik, Medienkultur, Part01, Partizipation, Schule, Tagungsbericht | No Comments »„nehmt kunst, da ist alles drin!“ (haurobert)
Bundeskongress Kunstpädagogik 2012, Part01 – Wie viel Kunst braucht die Kunstpädagogik?
Seit 2003 findet an wechselnden Orten im zweijährigen Rhythmus der bundesweite Kongress der Kunstpädagogik statt. Der aktuelle Bundeskongress (BuKo12) ist in seiner Struktur jedoch gänzlich anders konzipiert als die vorhergehenden. Denn er wird im Verlauf von zwei Jahren aus acht dezentralen Veranstaltungen (Parts) zu unterschiedlichen Themen in jeweils anderen Städten bestehen, die am Ende 2012 von einer Abschlussveranstaltung gebündelt werden. Jeder Part wird unterschiedliches Kontextwissen, innovative Methoden sowie Institutionsanbindungen erzeugen und an die folgenden Parts weiter geben. Auf diese Weise konstituiert sich „eine in inhaltlicher, struktureller wie personeller Hinsicht partizipatorisch und plural orientierte Kongressform“, so Torsten Meyer (Universität Köln).
Diese Strategie ist bereits bei Part01 des BuKo12 erfolgreich angestoßen worden: Denn mit knapp 200 Teilnehmenden, 300 Userinnen und Usern des live streams sowie über 800 Zugriffen auf die Homepage alleine am Tag des Kongresses, hat die Auftaktveranstaltung am 26. November 2010 im Frankfurter Kunstverein die Erwartungen mehr als übertroffen. Die Öffnung und Weiterentwicklung des kunstpädagogischen Tagungsformates bot nicht nur den Anwesenden, sondern auch der online zugeschalteten Community einen angemessenen Rahmen der Kommunikation und des Austausches. Denn die Tagung konnte live von überall verfolgt werden, eingehende Kommentare wurden in Echtzeit auf die Twitter-Wall rechts vom Podium projiziert, so dass diese während der Vorträge gelesen und ansatzweise auch diskutiert werden konnten. Es blieb auf diese Weise die Produktion von Wissen nicht allein den Vortragenden oder dem anwesenden Publikum vorbehalten, sondern wurde auch aus dem virtuellen Off hervorgebracht. Ein noch aktiverer Einbezug der Backstage-Kommentare wäre wünschenswert gewesen, was möglicherweise durch eine StellvertreterIn auf dem Podium hätte gelöst werden können. Dass hier noch experimentiert wird, zeigte ebenfalls die Idee, auch dem anwesenden, nicht technikaffinen Publikum anzubieten, seine Kommentare auf Karteikarten zu schreiben, die dann vom Team „vertwittert“ werden würden. Davon jedoch machte niemand Gebrauch. Stattdessen wurde rege die traditionelle, aber noch erlaubte Form genutzt, direkt ins Mikrofon zu sprechen. In Bezug auf mancherorts praktiziertes Tagungsritual, einer Frage zunächst lang und ausschweifend die eigene Position voranzustellen, erfrischten daher einige Twitter-Beiträge – generell auf 140 Zeichen limitiert – durch ihre Kürze. Und so geriet manch digitaler Zwischenruf zum fruchtbaren Konzentrat: „Irrweg? Ausweg? Kunst-weg? Hmm!“ (dr_alimaga). Nicht nur in dieser Pointiertheit und in der Schnelligkeit des Schlagabtausches liegt der Reiz der digitalen Partizipation, sondern auch in der Möglichkeit, sich ein Pseudonym zuzulegen, unter dem manch Unterdrücktes dennoch zum Vorschein kommt: „KunstPÄDAGOGIK will Schüler verändern, nicht in Ruhe lassen! Hängt ihn höher.“ (Wolkenpurzel) Für die, die im simultan Hören und Lesen bereits geübt sind, stellte sich ein wechselseitiger Austausch unter den An- und Abwesenden her, der die übliche Einbahnstraße in Richtung eines aktiven Gegenverkehrs verließ.
Während in der politischen Bildung nach genau diesen Möglichkeiten gesucht wird, Gesellschaft durch Teilhabe zu stärken, hat Part01 im Kleinen demonstriert, wie durch social networking Partizipation und Interaktion stattfinden können. Daher war auch der Ort im Frankfurter Kunstverein im doppelten Sinne paradigmatisch gewählt: eine bürgerliche Institution, in der es seit ihrer Gründungsphase im frühen 19. Jahrhundert neben der ästhetischen Bildung vor allem auch um demokratische und diskursive Beteiligung ging. Getagt wurde übrigens dort, wo 1976 Joseph Beuys mit seinen SchülerInnen die Aktionen „mit, neben, gegen“ veranstalte.
Die ins Prinzipielle reichende Leitfrage des Kongresses – „Wie viel Kunst braucht die Kunstpädagogik?“ reagiert auf die Herausforderungen des ersten Entwurfes der neuen Bildungsstandards in Hessen, die im Mai dieses Jahres im Internet veröffentlicht wurden. Als Reaktionen auf den allgemeinen Paradigmenwechsel, den die PISA-Studien seit 2000 angestoßen haben, sieht auch die aktuelle Schulreform in Hessen den Wandel von der Input- zur Output-Steuerung sowie die Formulierung von kompetenzorientierten Standards statt Lehrplänen vor. In den Vordergrund treten statt der Persönlichkeitsbildung das Ausbilden von Fähigkeiten und Kenntnissen. Aus Sicht der Veranstalter des Part01 bleibe jedoch das Verhältnis von normierten Bildungsstandards und fehlenden Inhalten inakzeptabel und fragwürdig. In seiner unspezifischen Darstellung und begrifflichen Unschärfe eigne sich der vorliegende Entwurf daher kaum, die bisherige Unterrichtspraxis zu verändern oder gar die Schulentwicklung voranzutreiben. Dramatisch sei für das Fach Kunst, dass es nicht zu den drei Hauptfächern – Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaft – gehört, die innerhalb der PISA-Studien untersucht und bewertet werden. Daraus ergebe sich die einfache Logik: Wo nicht gemessen wird, kann kein Defizit nachgewiesen werden und besteht daher auch kein Verbesserungsbedarf. Die Folge: Fächer, die nicht untersucht und bewertet werden, gerieten argumentativ ins Hintertreffen und würden weniger unterrichtet, resümiert Marc Fritzsche (Universität Gießen).
„By the way: wer macht eigentlich die Lehrpläne? Fallen die vom Himmel?“ (herrmeyer)
„Die Lehrpläne werden in Hessen von handverlesenen Lehrkräften (=abhängig Beschäftigten) gemacht. Hochschul-Leute sind nicht dabei.“ (Marc_Fritzsche)
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage nach dem „Wie viel der Kunst“ und den adäquaten Inhalten des Faches erneut Relevanz. Denn darin klingt an, dass Kunst etwas Eigenes habe, das in der sich aktuell durchsetzenden Anwendungs- und Verwertungslogik für den Arbeitsmarkt nicht aufgehe, so Tanja Wetzel (Kunsthochschule Kassel). Part01 hat nun einen anspruchsvollen fachdidaktischen Reflexionsprozess angestoßen, der zur Verhandlung über die Neuorientierung des Faches und des Potenzials der Kunst grundlegend erscheint. Dafür wurde ein hochkarätig besetztes Podium aus sechs Vertreterinnen und Vertreter von Theorie und Praxis, Hochschule und Schule, Didaktik und Kunst/Gestaltung zusammengestellt, die das breite Spektrum des kunstpädagogischen Feldes abbildeten und konträr diskutierten. Die Diskussionen um Gestaltung und Gelingen des Faches berührten immer wieder das neuralgische Verhältnis zwischen Kunst und Pädagogik, das seit der frühen Kunsterziehungsbewegung die Geschichte der Disziplin durchzieht. Trotz der Pluralität des Podiums, konzentrierten sich weitere Themen- und Fragestellungen heraus, die alle gemeinsam beschäftigten.
Johannes Kirschenmanns (Akademie der Bildenden Künste München) Plädoyer zielte darauf, das Fach Kunstpädagogik in seinem Umgang mit pluralen Bildwelten stärker an einer kulturhistorischen Perspektive denn an der Gegenwartskunst zu verankern. Die Überbewertung der Gegenwartskunst sowie die zu starke Negierung des Bildungspotenzials der historischen Kunst wertete er als eklatante Fehler der vergangenen Dekaden. Die Chancen einer Auseinandersetzung mit der historischen Kunst seien verächtlicht zurückgesetzt worden.
Das sei doch „keine Überschätzung der zeitgenössischen Kunst, sondern eher eine „Angst“ vor der zeitgenössischen Kunst“ (cynkrell) bemerkte „cynkrell“, was vom Podium leider ignoriert wurde.
Kirschenmann fuhr fort, die Kunstpädagogik solle high and low verknüpfen, um zu einer unaufgeregten Orientierung an verschiedenen Bildsorten zu gelangen. Diese enthalte natürlich auch die Kunst, aber klein geschrieben, nämlich der marginalen Bedeutung entsprechend, die sie auch bei den Schülerinnen und Schülern habe: „Wir leiden an einer Selbstverblendung […] geplagt von einem Weltbeglückungssyndrom. […] Das Erlösungsmoment der Kunst kann nicht in 45 Minuten weitergegeben werden.“ Die Kunst solle daher tiefer gehängt und die solide bildnerische Gestaltungsfähigkeit der SchülerInnen gefördert werden, um dem subjektiven Ausdruck aufzuhelfen.
Dagegen positionierte Marie-Luise Lange (TU Dresden) das Fach Kunst als eines der wichtigsten in der Schule, weil es die transdisziplinäre Gelenkstelle zwischen verschiedenen Künsten, Wissenschaften, Lebensbereichen, Medien und Diskursen sei: „Das Fach Kunst oszilliert zwischen Spiel, Entwurfstätigkeit, Experiment, Suche und Zufall und auf der andern Seite Konzept, Diskurs, recherchierende Forschung und Inszenierung. Nur aus dem Ringen zwischen Irritation und Neuorientierung, zwischen Bekanntem und Unbekanntem ist die Kunstpädagogik zu entfalten.“
Karl-Josef Pazzini (Universität Hamburg) stellte klar: „Kunst aus der Kunstpädagogik zu streichen ist eine populistische Maßnahme, die von ebensoviel Vernunft zeugt, wie etwa das Vorhaben, die irrationalen und imaginären Zahlen aus dem Mathematikunterricht zu streichen. Die sind elitär, ich sag’s Ihnen!“ Weiterhin betonte er, dass sich Pädagogik nur mit markanten Inhalten und Personen betreiben ließe, aber nicht in der Orientierung an nicht „operationalisierbare Könnensbehauptungen – ein Versuch, den Begriff Kompetenz zu übersetzen“. Diese Könnensbehauptungen führten unweigerlich zur Überbewertung von soft skills, die die Inhalte ersetzten, was wiederum zu „Verklebung“ führe.
Jutta Johannsen (Direktorin des Jungmann-Gymnasiums Eckernförde und frühere BDK-Bundesvorsitzende) plädierte für die individuelle Förderung jedes einzelnen Schülers. Die Abstimmung auf die jeweilige Lerngruppe erfordere mehr Diagnostik, um ein entsprechendes Lernumfeld schaffen zu können, das Heterogenitäten berücksichtige. „Die Bewertungsparameter haben sich verändert, zu den Fachnoten treten individuelle Rückmeldungen, auch über die Fachgrenzen hinweg“. Die Auswahl von Unterrichtsgegenständen und die Aufbereitung von so genannten Lernarrangements erfordere eine didaktische Reduktion, die der jeweiligen Lerngruppe gerecht werden müsse.
„heißt lernarrangements didaktik aus der tüte? reduktion????“ (haurobert)
Bernard Stein (Kunsthochschule Kassel) skizzierte anschließend aus der Betrachtung der eigenen Arbeit als Kommunikationsdesigner, dass die Kunstpädagogik nicht mehr, aber auch nicht weniger als 15% Kunst brauche.
„15% kunst – ist ja wie abzählen nach franz billmayer!“ (haurobert)
Das Fach solle daher nicht mehr Kunst heißen, sondern Gestaltung, denn gestaltendes Unterrichten bedeute, gemeinsam an etwas zu arbeiten. Das sei mit Techniken verbunden, die sich üben ließen: „Gestaltung hat eigene Kriterien, die kann man erlernen, Kunst hingegen braucht den Mut, eigene Entscheidungen zu treffen.“
Alf Schuler (Kunsthochschule Kassel) wandelte die Leitfrage des Kongresses um in: „Wie viel befähigte, engagierte und durchsetzungsfähige Kunstpädagogen braucht die Gesellschaft, um in Schule und Gesellschaft widerstandsfähig zu bleiben?“ Es gehe hier nicht um Quantität, sondern um die Qualität und Befähigung zum Lehramt. Das Entscheidende sei die Entwicklung, eigene Felder aufzutun und zu vertiefen. Dies setze großes Bewusstsein voraus in Theorie und Praxis, es sei gerade die Widerstandskraft, die die Befähigung zum Lehramt ausmache.
„Subversion als Kompetenz im Lehrplan…“ (Wolkenpurzel).
Bereichert durch viele weitere reale und virtuelle Wortmeldungen, die sich u. a. auch um die Rolle der außerschulischen Kunstpädagogik sowie der Erfahrung am Original drehten, hat die Tagung ein Nachdenken über langfristige Ziele und Inhalte der Kunstpädagogik angestoßen. Sie hat viele Problemfelder der aktuellen Schulreform berührt und unterschiedliche Positionen der künstlerischen Bildung aufgezeigt, wenn auch ein Twitter-Resümee zu einem anderen Schluss kommt: „Zu viele Themen werden angesprochen, aber ich bleibe hilflos.“ (buko12pad3)
Dass angesichts der Komplexität keine fertig geschnürten, transportablen Antwortpäckchen an Part02 übergeben wurden, war von den VeranstalterInnen durchaus kalkuliert. So sind die Anschlussfähigkeit zur nächsten Staffel sowie die Fortsetzung des Dialogs zwischen interessierten Kolleginnen und Kollegen aus Schule, Hochschule und außerschulischen Feldern gewährleistet. Auf dem Blog unter ist die Diskussion schon in vollem Gange. Und so schließt Part01 mit „FriederK“:
„Fuhr ganz erleichtert heim, der Austritt aus der Kunst wurde noch mal verschoben.“ (FriederK)
Carina Herring
Carina Herring, freie Kuratorin und Autorin Berlin/Marseille, von 2004 – 2010 Projektleiterin der Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine, Berlin.
Initiatorin folgender Projekte: COLLABORATION.Vermittlung.Kunst.Verein. Ein Modellprojekt zu zeitgemäßen Formen der Kunstvermittlung an Kunstvereinen, 2008-2010. CROSSKICK – Europäische Kunsthochschulen zu Gast in Deutschen Kunstvereinen. Ein internationales Programm zu künstlerischer Lehre und kuratorischer Praxis mit 13 Kunstvereinen und 30 europäischen Kunsthochschulen, 2006-2009.
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