Tagungsbericht BuKo12 Part04
Posted: 07.02.2012 | Tags: Ausstellung, BarCamp, Diskussion, dokumentation, Fachtagung, Kunst, Part04, Partizipation, Tagungsbericht | 6 Comments »Bundeskongress der Kunstpädagogik 2010-12, Part04 – Hedo-Camp meets global art am ZKM
BuKo12/part04 schlägt die Zelte im ZKM auf
Vom 20. bis 21. Januar 2012 schlugen die Initiatorinnen des BuKo12-Part04 Prof. Dr. Christine Heil (Kunsthochschule Mainz) und Dr. Jutta Zaremba (Universität Flensburg) ihre virtuellen Zelte im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnolgie (ZKM) auf und mit ihnen ca. 50 TeilnehmerInnen, die aus ganz Deutschland angereist waren. Zwei Tage lang wurde gelagert, geschaut, diskutiert, auf unterschiedlichsten Kanälen kommuniziert und damit das ZKM auf vielfältige Weise angeeignet und durchkreuzt. Das freie Campen im fremden Gefilde wurde vom Team der Kunstvermittlung, Janine Burger, Leiterin der Abteilung Medienkommunikation, Carolin Knebel und Banu Beyer, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen des ZKM, sowie Philipp Sack, mit großer Gastfreundschaft und allem nur erdenklichen Support unterstützt und begleitet.
Zentrales Forschungsfeld bildete die aktuelle Ausstellung The Global Contemporary. Kunstwelten nach 1989, in der es Werke von über 100 KünstlerInnen aus 5 Kontinenten zu sehen gab, sowie die Kunstvermittlung als integraler Bestandteil des kuratorischen Konzeptes. Damit war kein kleiner Referenzrahmen gesteckt, in dem sich das Beziehungsgeflecht Hedonismus in Medien/Kunst/Pädagogik entwickeln sollte. #Hedonismus als Spannungsbogen zwischen den Polaritäten Freude, Glück, Vergnügen einerseits sowie Unlust, Stress, Leid andererseits wurde bereits im Vorfeld der Tagung im Diskussionsforum mixxt lanciert und hedonistische Aspekte als wesentliche Bestandteile von künstlerischen, kreativen und vermittelnden Prozesse benannt. Und so lief die Begrifflichkeit wie eine Art Hypertext durch die BuKo-Veranstaltung, die in unterschiedlichen Intensitäten und Dimensionen immer wieder mit verhandelt wurde. Spaß und Lust waren damit nicht nur zentrale theoretische Inhalte, über die man sich austauschte. Lustvoll gestaltete sich auch das gewählte Format „BarCamp“: keine Frontalvorträge, keine hierarchische Organisation, keine vorprogrammierten Inhalte, sondern aktive Beteiligung aller Beteiligten, Selbstorganisation, Mitbestimmung und Mitgestaltung und das durchaus nach dem Lust-/Unlustprinzip: Trifft ein Vorschlag auf Zustimmung, wird er verwirklicht, andernfalls nicht.
In der Wahl dieses partizipativen und offenen Formats wurde ein zeitgemäßer Umgang nicht nur für die Wissensproduktion während eines Kongress erprobt, sondern analog auch für eine Kunstvermittlung, die sich von der reinen Kunstwerk-Vermittlung oder der Aneignung überprüfbaren Wissens entfernt und in der Begegnung mit Kunst auf aktive Beteiligung sowie eigene Handlungs- und Erfahrungsräume setzt. Insofern fand das Ausloten des Hedonismus in den künstlerischen Arbeiten wie auch in der Kunstvermittlung im Experimentieren während des Camps seinen Resonanzraum.
Hedo-location
Das ZKM war die kongeniale Location für das Hedo-camp. Seit 1999 befindet es sich im Gebäude der ehemaligen Waffen- und Munitionsfabrik der IWKA (1918 erbaut) und funktioniert als hybrides Konglomerat unterschiedlicher Institutionen, Disziplinen und Funktionen. Es ist Ort der Produktion, Forschung, Aufführung, Vermittlung und Dokumentation für traditionelle Künste und Medientechnologie. Der 312 Meter lange Hallenbau durch 10 Lichthöfe strukturiert, ist Spiegel einer multifunktionalen Raumauffassung, in der Menschen und Daten, Netz und Welt sicht- und fühlbar ineinander verwoben sind. Im Durchschreiten des Gebäudes entsteht der Eindruck, dass hier zumindest der Versuch wirksam ist, verschiedene Funktionen, Bildwelten und Situationen gleichwertig nebeneinander zu stellen. Immer wieder scheinen die Schnittstellen zwischen den Disziplinen und Feldern, zwischen dem Realen und dem Virtuellen auf. Der #critical art walk führt später auch hinter die Kulissen und ins Innere des riesigen Schiffs und man ahnt während der Führung auf den langen Wegen, dass Kommunikation und Kooperation zwischen #Institutionen und Disziplinen nicht immer reibungs- und hierarchielos von statten geht. Resümee: „Architektur kann töten und gebären.“
Hedo-spaces
Im ZKM standen dem camp Räume mit unterschiedlichem Aktionspotenzial und Sichtbarkeiten zur Verfügung: Vortragssaal, zwei Seminarräume, Multifunktionsraum, Studio und Musikbalkon, in denen Inhalte und Informationen erstellt, gesammelt, ausgewählt, verknüpft, wieder aufgenommen und verteilt werden konnten. Nicht zu vergessen: die Kaffeebar, die bis auf wenige Momente vorbildlich bestückt war. Besonders der Musikbalkon und das #Studio wurden zu Pinnwand, Archiv und #mindmap mit Möglichkeiten für Kommentar, Interview, Diskussion, Präsentation und Lager. Die Unterschiedlichkeit machte umso deutlicher, wie Raumsituationen, Atmosphären und Tools Kommunikation und aktive Auseinandersetzung beeinflussen und befördern können.
Hedo-formats
Das Hedo-Camp verzichtete durchgehend auf die gängige Form einer Konferenz, sondern bot – wie beim Unkonferenzformat des BarCamp üblich – unterschiedliche Möglichkeiten der Partizipation: speed-Hedo, Hedo-sessions, Hedo-affects, Hedo-pool usw., mittels derer neue Formen des Austauschs, des Lernens und Vernetzens hin zur Selbststeuerung und konnektivem Wissen angestrebt wurden. Die Idee dabei ist, dass jeder Teil eine eigene experimentelle Situation darstellt, im darauf folgenden Teil werden Inhalte destilliert und feinjustiert. So entscheidet die gemeinschaftliche Diskussion, was verworfen oder übernommen werden soll und in welche Richtungen weitergegangen wird. Durch das Tool #eduPad können parallel stattfindende Sessions untereinander schriftlich kommunizieren.
Hedo-transfer
Partizipative Prozesse ziehen veränderte Kommunikationsbedürfnisse nach sich. Wenn Gedanken und Wissen kollektiv und parallel in verschiedenen Arbeitsgruppen produziert werden, wird eine entsprechende Infrastruktur wichtig, die Transfer und Dokumentation sicherstellt. Die Technikausstattung war daher ausgesprochen vielseitig und reichte von der archaischen Tafel und Papier für mindmaps über Videobox und Beamer bis iPad und eduPad, einem Worddokument, das kollektiv bearbeitet werden kann. Ein Kamerateam begleitete den Verlauf des zwei-tägigen Camps und forderte einzelne TeilnehmerInnen zu individuellen Statements auf. Die Videobox bot ebenfalls die Möglichkeit zu persönlichen Botschaften: Reinsetzen und sagen, was Sache ist! Das war das Anliegen der Initiatorinnen: Jede session soll eine Message transportieren.
speed-Hedo
Anfangskatalysator war das speed-Hedo und die Frage, wie man der über 2000-jährigen philosophischen Figur Hedonismus ohne Vortrag und SpezialistIn Kontur verleiht. Dazu teilten sich die TeilnehmerInnen in Gruppen, um an fünf Stationen in ca. acht Minuten kurze Exzerpte zur historischen und philosophischen Genese des Begriffs zu lesen und zu kommentieren. Jeweils eine TeilnehmerIn wechselte nicht, sondern moderierte die Gruppen, die sich mit folgenden Positionen befassten:
- Aristippos von Kyrene – Ursprünge des Hedonismus
- Hedonistische Internationale – http://hedonist-international.org
- Bernulf Kanitschneider – Aufgeklärter Hedonismus
- Jeremy Bentham – Hedonistisches Kalkül
- Henry Sidwick – universeller Hedonismus
- Slavoj Žižek – ästhetischer Hedonismus
- Pier Paolo Pasolini – Zwangshedonismus
Der schlaglichtartige, etwas einseitig maskulin abendländische Input von der Antike bis zur Gegenwart rief lebhafte Diskussionen, aber auch Bemerkungen zu Lust und Last des „Selbstregierens“ hervor. Denn das inhaltliche Schwergewicht stand in Kontrast zum vorgegebenen Stakkato des Formats. Und auch wenn ExpertInnen unterschiedlicher Felder anwesend waren, die sich aktiv einmischten, konnten die Debatten über kleine Blitzlichter nicht hinausgehen. Dies spiegelte sich auch in den daraus erwachsenden mindmaps. Jede Gruppe hinterließ auf den ausgelegten Papieren Gedanken, Ideen und Kommentare, an denen die jeweils nachfolgende Gruppe weiter schrieb:
mindmaps
Glück = Berechnung des Folgeleids / pessimistischer Spaß, subversiver Spaß / Ästhetik bedingt Hedonismus / Ästhetische Produktion und Rezeption ohne Hedonismus nicht möglich / lächelnde Selbstreflexion – sich nicht so wichtig nehmen / Utilitarismus / Beteiligung als Quelle von Selbstzufriedenheit / Hedonismus des Betrachters/ Selbstermächtigung / intellektueller, sinnlicher, partizipativer Hedonismus / Wie funktioniert der Mensch? Ich im Zentrum des Gemeinwesens / Wie gelange ich zu einem optimierten Zustand? Erstrebenswert / De Sade? / Leidenschaft / Kollektive Wunschproduktion / Selbstregulierung / Maßlos / Sublimation / Das Unbehagen in der Kultur / Solidarische Auffassung
Der Erkenntnisgewinn des speed-Hedo blieb zunächst etwas unbefriedigend, auch weil man sich fragte, wie nun der Bezug zur Ausstellung herzustellen sei. Im Verlauf der Veranstaltung bei den unterschiedlichen Denk- und Aktionsprozessen blitze jedoch mitunter hier und da mal ein Satz etwa žižekscher Provinienz auf, aber auch das Tag „Kekse!“ (kein Spaß mit leerem Magen), ebenfalls ein Eintrag auf einer der mindmaps, fand immer wieder sein Echo während der beiden Camp-Tage.
love/hate-Rundgang
Der zweite Input in der Veranstaltung war die Aufforderung, beim folgenden, individuellen Ausstellungsrundgang zwei Zettel an den Kunstwerken zu platzieren, auf denen jeweils ein Begriff stand: love bzw. hate und dabei ohne Überlegung dem ersten Affekt der Zu- oder Abneigung zu folgen. Ähnlich wie beim mindmap davor erzeugte diese Methode ein unmittelbares Stimmungsbild (hier fand jemand etwas toll, hier nicht), bildete aber auch ein Kommunikationstool, das die eigene Reflektion und Urteilsfindung ankurbelte.
hate türmte sich z.B. vor der Arbeit „Wang Bin Torture in Commercial Quality, High Quality and Museum Quality“ (2010) von Ondreij Brody & Kristofer Pateau. Das Künstlerduo hat von einem anonymen chinesischen Auftragsmaler die Fotografie eines zu Tode gefolterten Anhängers der in China verbotenen Falun-Gong-Religion als Ölgemälde in drei Qualitätsstufen (kommerziell, hohe und museale Qualität) reproduzieren lassen. Im anschließenden Gespräch beim Rundgang zeigte sich, dass das impulsive Ablehnen dieser Arbeit von vielen aus der fast unerträglichen Spannung der thematisierten Kunstmarktmechanismen und dem dokumentierten Einzelschicksal eines zu Tode gefolterten Menschen entstand. Die Verschmelzung von Bildern der Massenmedien und der Kunst bringt offensichtlich die im Zuge der Moderne festgeschriebenen Wertmaßstäbe wie Relevanz, künstlerische Intention, Einzigartigkeit, Schönheit und Autorenschaft zum Kippen. Dies zwingt uns als BetrachterInnen in die uneindeutig-schmerzhafte Position zwischen Genuss an der Malerei und totaler Ablehnung im Umgang mit dem Sujet. Als VermittlerIn ist man außerdem mit der Angst konfrontiert, mit den Emotionen und Reaktionen der BesucherInnen nicht angemessen umgehen zu können.
love hingegen erhielt z.B. Meschac Gaba mit seinen 30 Perücken aus geflochtenem Kunsthaar (Musée de l’art de la Vie Active, 2010/11), die universal verständliche Symboliken von historischen Figuren der globalen Geschichte wie z.B. Martin Luther King, Kwame Nkrumah, Jeanne d’Arc, Fela Kuti, Pierre und Marie Curie oder König Guézo von Dahomey darstellen. Viel love erntete auch Halil Altindere mit einer Fotografie, die ihre traditionell gekleidete Mutter bei der Lektüre eines Buchs über Pop Art zeigt „My Mother likes Pop Art because Pop Art is Colorful (1998)“. Beide Arbeiten, die sich vordergründig farbenfroh, leicht und harmlos präsentieren, beziehen ihren Reiz jedoch aus der durchaus hintergründigen Ironie und Kritik am westlich zentrierten Blick der Moderne mit ihren Stereotypen, Klischees und einseitigen Perspektiven, was den spielerischen Genuss der Arbeiten begründete.
Viele TeilnehmerInnen stimmten zu, dass es nicht einfach war, dem ersten Impuls nachzugeben und man sich durchaus beim Platzieren/Bewerten beobachtet gefühlt hat: „Intuitives Bewerten (Hedonismus des Bewertens) macht Spaß, solange es anonym bleibt!“ Während man dann aber plötzlich love an vielen Stellen hätte fallen lassen mögen, „Ich hätte noch viel mehr Liebe verteilen können“, wollte sich hate kaum platzieren lassen. Offensichtlich wollen wir lieber loben als ablehnen, denn hate scheint um einiges mehr an Reflektion und Rechfertigung zu erfordern. Teilweise waren love und hate aber auch zusammen an einem Kunstwerk zu sehen, so z.B. bei Stephanie Syjuco, die mit ihrem Projekt „The Counterfeit Crochet Project (Critique of a Political Economy) (2008)“ zur Designlabelpiraterie von Luxusprodukten einlädt: Gemeinsam nach Vorlagen von Marken wie Gucci, Louis Vuitton oder Fendi aus Hochglanzmagazinen Handtaschen nachzustricken oder nachzuhäkeln. Resümee: „Lust entsteht in der Reibung – auch Schmerz und Ekel, sind nicht lustfrei. Wenn es nur um Lust geht, dann wird es trivial.“
Kuratorinnen-Gespräch
Mit dem Studio, einem semipermeablen Raum im ersten Stock der Ausstellung „The Global Contemporary“ hat die Kunstvermittlung einen konkreten Ort erhalten, an dem Projekte, Workshops und temporäre Präsentationen umgesetzt werden können, die damit auch für ein Publikum sichtbar wurden, das nicht unmittelbar daran teilgenommen hat. Hier fand auch das Gespräch mit zwei der vier KuratorInnen, Andrea Buddensieg und Antonia Marten, statt, von denen zu erfahren war, dass die Ausstellung aus dem am ZKM angesiedelten Forschungsprogramm „Global Art and the Museum GAM“ hervorging, das sich mit den Veränderungsdynamiken der Globalisierung und ihren Einflüssen auf Kunstproduktion, -rezeption und -verwertung beschäftigt hat. Nach 1989, so die These, sei eine neue Epoche angebrochen, in der die Vorrangstellung der Moderne und die gewohnten Ein- und Ausschlussprinzipien nicht länger funktionierten. Dabei begreifen die Kuratorinnen die Ausstellung – neben Konferenzen, Workshops, residencies und Publikationen – als ein weiteres Format, um die Forschungsansätze und -ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Um auch in der Präsentationsform dem Globalen und nicht-Linearen zu entsprechen, lehnen sie sich an Bilder von Orten des Transits wie Flughäfen und Baustellen oder auch Messe und Markt an: Weg von der kontemplativen Versunkenheit hin zum beschleunigten Zapping, was angesichts der schier unendlichen Flut an Bildern und Werken die praktikabelste Betrachtungsweise für global art zu sein scheint.
Später lässt sich eine der beiden Kuratorinnen zu der Aussage hinreißen, sie hätte nichts mit Kunstvermittlung zu tun, und verdeutlicht damit einen anderen, nach wie vor wirksamen hegemonialen Diskurs der Moderne, der das Ausstellungsmachen über das Vermitteln stellt. Aus dem Publikum ist leider kein spontanes Zücken einer hate-Karte zu sehen. Erst am nächsten Tag, dann umso intensiver, berichten VertreterInnen des Vermittlungsprogramms über ihre vielfältigen Projekte und deren Wirkungsweisen. Eine Übersicht über alle Projekte bietet die Homepage.
Hedo-education
Carolin Knebel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Museumskommunikation am ZKM schilderte die Genese der Vermittlung für die Ausstellung „The Global Contemporary“, die von Anfang an in deren Gestaltung eingebunden war. Sie sprach in Vertretung der Kuratorin für Kunstvermittlung beim Projekt „Global Art and the Museum GAM“, Henrike Plegge, die nicht persönlich anwesend sein konnte. Henrike Plegge war seit 2008 im Kuratorium vertreten und konnte so frühzeitig die Perspektive der Kunstvermittlung einbringen sowie im Entstehungsprozess ein Jahr vor Eröffnung der Ausstellung die vermittlerische Arbeit beginnen, was die Fragen anregte: „Braucht Kunstvermittlung Kunst, oder kann man bereits in leeren Räumen arbeiten?“
Die große Vielfalt der Vermittlungsarbeit für „The Global Contemporary“ ist auch dem Umstand zu verdanken, dass für einige Projekte Drittmittel akquiriert werden konnten, was allen Beteiligten einen großen Spielraum eröffnete, eigene und gemeinsame Kommunikations- und Gestaltungsprozesse zu entfalten. Vor dem Hintergrund der Globalisierung thematsiert z.B. Microsglobe, ein 1,5-jähriges Kooperationsprojekt mit der Gutenbergschule Karlsruhe, die Herausforderungen der Kommunikation, die nicht auf einer gemeinsamen Sprache basiert. Die vielfältige Übersetzungsarbeit eröffnete einen gemeinschaftlichen Handlungs- und Reflektionsraum, in dem unterschiedliche Kenntnisse über Lebensweisen und Auswirkungen von Globalisierungsprozessen deutlich und verhandelbar werden.
Hedo-sessions
An beiden Tagen fand ein Block mit jeweils fünf Sessions statt, die Aspekte des Hedonismus sowohl in den künstlerischen Arbeiten der Ausstellung als auch in Kommunikationsformen und Vermittlungsprozessen untersucht haben:
- Künstlerische Praxis, wie funktioniert der Kunstbetrieb?
- (lustvolle) Kommunikation in künstlerischen Arbeiten und der Ausstellung
- künstlerische Arbeiten, die sich mit dem Kunstmarkt und dessen Preise beschäftigen
- Was hat Hedonismus mit der Ausstellung sowie unserem Arbeits- und Kunstalltag zu tun?“
- Auf der Suche nach „diversity“
- Komm unter meine Mütze!
- Handlungsmacht
- ästhetisch-dekorativer Hedonismus im Comic
- Was ist, wenn der Betrachter lacht? – Positionierung – Humor – kollektiver Raum
- „Nächste Kunst“ – What’s next?
In der Session „Was hat Hedonismus mit der Ausstellung und unserem #Arbeits- und Kunstalltag zu tun?“ wurden unterschiedliche Dimensionen von Spaß debattiert und gefragt: Darf Spaß trivial sein oder muss es ein qualitativ akzeptabler Spaß sein? Darf man es sich gestatten, ein Bild zu sehen, so wie man Lust dazu hat? Wollen Leute im Museum bespaßt werden? Oder erwarten sie, dass Ungewöhnliches passiert, dass experimentelle Handlung ermöglicht werden – nicht nur verbal? Einigkeit bestand darin, dass Kunstvermittlung sowohl Lust wie Unlust/Enttäuschung braucht. Beide sind im Erleben einer Ausstellung – genauso wie in einer Schulstunde – nötig und bedingen einander. Werden Erwartungen gebrochen, können Dinge in anderer Form und anderer Qualität passieren. Aber: Muss ich mich in einer Gruppe rumschleppen lassen, obwohl ich keine Lust habe? Dann gebe ich die Autorität an die Institution, dem Museum oder die Schule ab. Autonomie im Lernen ist nur mit Lust möglich.
„Die Ausstellung lässt das Fremde vermissen. Sie bietet nicht genug Verschiedenheit, nicht genug Rätsel! Wo findet sich das Unästhetische? Zu viele künstlerische Positionen sind bekannt“, so einer der TeilnehmerInnen der Hedo-session #diversity. Zwar versuche sich die Ausstellung von der „Weltkunst“ abzuwenden und anstelle eines kolonialen Blicks auf andere Kulturen einen globalen Blick zu formulieren, aber die Frage bleibe, wie weit tatsächlich global gedacht werden kann. Das wird z.B. an der Arbeit „Dow Song Duang (The Two Planets Series) (2008)” von Araya Rasdjarmrearnsook diskutiert, der in vier kurzen Sequenzen eine Gruppe von thailändischen Dorfbewohnern zeigt, die vor bekannten Werken der europäischen Moderne wie Millet, Van Gogh und Manet sitzen. Sichtlich amüsiert erörtern sie aus ihren Erfahrungen heraus unterschiedliche Aspekte, z.B. dass beim „Frühstück im Freien“ von Monet Bananen gegessen werden oder warum die Frau keine Kleidung trägt. Sichtbar wird, wie kultureller Einfluss, künstlerische Absicht und westlich akademischer Kontext in engem Zusammenhang stehen. Kann man Kunst richtig und falsch rezipieren?
Die Session #Handlungsmacht gruppierte sich um die Fragen: Was lässt sich innerhalb/gegen/mit einer Institution verschieben und verändern? Wie lässt sich eine Vermittlung entwerfen, die alle Beteiligten verändert? Diskutiert wurde entlang eines Begriffs von Vermittlung, die sich von einer pädagogischen Sendung befreit und einen kritischen Anspruch zur Institution, zu Aspekten von Macht und ihrer eigenen Rolle einnimmt: „Wir sind die Institution und wir sind institutionskritisch zugleich.“ Dazu gehört, die Werkzeuge, mit denen man selbst arbeitet, offenzulegen. Es sollte aufgezeigt werden, dass es eine Agenda gibt, die aber auch verändert werden kann. Dies setzt eine Atmosphäre voraus, die das auch zulässt. Wichtig war innerhalb dieser Session außerdem der Aspekt der Macht und die Frage, ob Kunstvermittlung eine neue Form von Nebenmacht etabliert? Jeder Bereich habe unterschiedliche Macht- und Ohnmachtspotenziale: Gehört es zum Machtbegriff, Macht abzugeben? Resümee: „Du bist als Vermittler nicht der Freund, sondern der Fremde, wir lernen durch das, was wir nicht kennen.“
#Nächste Kunst war der Titel einer Session, die Thesen von Dirk Baecker zur „nächsten Gesellschaft“ auf die Kunst und die Kunstvermittlung übertrug und dies an den postironischen Arbeiten von Com&Com exemplifizierte. Beckers These lautet, dass die Buchdruckgesellschaft der Moderne im Begriff ist, von der nächsten – der Computergesellschaft – abgelöst zu werden. Anonyme Kollektivtexte im Internet schaffen den Brockhaus ab. Der Computer, als eine dem Buchdruck vergleichbare Medienrevolution, wird entsprechendes Gedankengut und neue gesellschaftliche Formierungen hervorbringen: das Netzwerk. Im Rückgriff auf Baeckers These wurde diskutiert, ob die Kunst der Moderne, die an Zentralperspektive und Geniestatus gekoppelt ist, im Zeitalter der Digitalisierung anders funktioniert und daher auch anders betrachtet werden muss. Beweglichkeit und Vernetzung der globalisierten Welt verändern Rolle und Funktion von KünstlerInnen vom Einzelproduzent zum Kollektiv, was wiederum Auswirkungen auf die Kunstvermittlung hat, mit Com&Com gesprochen: Es gibt „keinen Platz für starre und eindeutige Identitäten; die Frage nach der Zugehörigkeit wird zu einem Spiel der Formen und Beziehungen, die ständig überschrieben und neu bestimmt werden.“
„Wie lässt sich Humor für eine kunstpädagogische Praxis nutzbringend einsetzen?“, war die Leitfrage der Hedo-session #Was ist, wenn der Betracher lacht? Im Zentrum der Diskussionen stand die Arbeit „Barter (2007)“ von SOSka group. Ein junger Mann baut im Hof eines ukrainischen Bauern eine kleine Galerie mit Drucken berühmter Künstler auf – darunter Stars wie Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Cindy Sherman – und versucht diese gegen verschiedenste Produkte einzutauschen. Während weltweit die Preise für zeitgenössische Kunst explodieren, sind die Arbeiten für die ukrainischen DorfberwohnerInnen so viel Wert wie ein Huhn oder drei Dutzend Eier. Im Rückgriff auf Freuds Text „Der Humor“ von 1927 diskutiert die Gruppe, den Unterschied zwischen Humor und Witz. Humor sei das Erhabenste, was das Individuum leisten könne, er überwältige und stelle damit eine Unterbrechung her, die es anschließend ermögliche, sich mit neuem Ernst weiter auseinanderzusetzen. Durch Humor finde eine Öffnung statt, die aus einem Tunneldenken befreit. Resümee: „Spaß, ohne Humor, ist eben doch verdächtig!“
Hedo-results
Hedonismus/Medien/Kunst/Pädagogik waren die Tags des Hedo-camps am ZKM in Karlsruhe, und die konzentrierte Stimmung in der letzten Runde zeigte: Wir waren zwei Tage lang Teil einer experimentellen Situation, einer Versuchsanordnung, und befinden uns – ganz im Sinne Dirk Baeckers – in der Entwicklung hin zur „nächsten Kommunikation“! Dies beinhaltet sowohl Lob wie Kritik an Format und Inhalt der Veranstaltung.
Die Parallelität der In- und Outputs in den verschiedenen Sessions wurde als durchaus passend für die zeitgenössische Gedanken- und Ideenproduktion bewertet. Trotzdem entstand das Gefühl, dass vielleicht mehr über die Ausstellung und weniger über Hedonismus und dessen Bedeutung für die Kunstvermittlung gesprochen wurde. Deutlich wurde, dass Partizipation der #Übung bedarf: „Wir denken und agieren noch zu sehr von der üblichen Tagung aus, bei der es klar definierte Redner und Zuhörer gibt und schaffen es noch nicht, aktiv in einem neuen Format zu denken, uns mehr auf das einzulassen, was hier und jetzt passiert, ohne uns vorher präpariert zu haben“, so eine der TeilnehmerInnen. Dies zeigte sich auch in der wenig genutzten Medientechnik. Getwittert wurde nicht und im EduPad liest man Einträge nur weniger Sessions. Hier hätte beispielsweise auch ein Echo oder PingPong mit anderen Sessions stattfinden können. Die Vernetzung innerhalb des Hedo-camps fand so eher auf die traditionell-analoge Art im jeweiligen Hedo-pool statt.
Teilweise haben die Sessions von der Anwesenheit einer Personen profitiert, die vorbereitet war. Das offene Zusammenkommen des Camps blieb damit durchaus gewahrt, aber die Intensität der Diskussion steigerte sich durch die Intensität des Inputs, wie es z.B. in der Comic-Session der Fall war. Deutlich wurde, dass die Generierung und Entwicklung von Themen, Abfolgen und Spannungsbögen noch mehr Zeit und Aufmerksamkeit benötigen. „Es hat gefehlt, noch mehr gemeinsam Fragen zu finden und zu entwickeln, so hätte man gemeinsam präziser werden können“, konstatierte eine Teilnehmerin. Sie plädierte dafür bei den Session-Findungsprozessen eher danach vorzugehen: „Welche Leute haben die gleichen Fragen?“, als „Wer macht einen Workshop zu welchem Thema?“.
Gedanken und Wissen kollektiv und partzipativ zu produzieren, ermöglicht veränderte Rezeptions- und Kommunikationsbedürfnisse, die sich für eine zeitgenössische Kunstvermittlung produktiv machen lassen. Wie nun konkret eine Vermittlungsarbeit zu entwerfen wäre, die gleichzeitig hedonistische Züge trägt und einer neuen global Art entspricht, ist nicht abschließend formuliert worden. Dies ist aber auch nicht nötg. Dass Hedonismus ein für die Kunstvermittlung vielschichtiger schöpferischer Prozess ist, der Bildung von Differenzen und Vielstimmigkeiten ermöglicht, haben die TeilnehmerInnen am eigenen Körper erfahren. Daran liegt der eigentliche Erkenntnisgewinn und die beste Voraussetzung für die Umsetzung von Wissen in reflektertes Handeln. In diesem Sinne auf zur „nächsten Kunstvermittlung“ und zum nächsten Part des BuKo12.
Autorin: Carina Herring
Freut mich, dass unsere Ausstellung wohl ein ganz gutes Umfeld für Eure Tagung war! Etwas irritierend war allerdings aus meiner Perspektive als Co-Kurator, dass dabei wohl etwas untergegangen ist, dass die Ausstellung nicht nur ein Ort für die „Vermittlungs-Vermittlung“ war, sondern auch eine tatsächliche, öffentliche Ausstellung – und dass die Love-Hate-Zettel neben den Arbeiten durchaus auch von anderen Museumsmitarbeiter_innen und vor allem den Besuchenden wahrgenommen wurden (und auch nach einer Woche immer noch neben manchen der Arbeiten im MNK lagen …!). Dass derartig emotionell aufgeladene Wortmarken neben künstlerischen Arbeiten positioniert werden, ohne dass dies für die Betrachtenden jenseits Eures Workshops irgendwie kontextualisiert oder transparent gemacht worden wäre, ist ja nun keineswegs trivial … hier hätte Euer Anspruch, „die Werkzeuge, mit denen man selbst arbeitet, offenzulegen“ schließlich auch greifen müssen?
@Jacob Birken Danke für den Kommentar!! Einem leichten Unbehagen bzgl love/hate-Zetteln kann ich mich anschließen. Meiner Wahrnehmung nach (und vor dem Hintergrund der Mondialisation als „Weltweit-Werden“ der Kommunikation (nach Derrida)) geht es bei einer solchen Ausstellung eher darum, sich mit dem Ganzen – und zwar ausdrücklich als Ganzes – auseinanderzusetzen und nicht einzelne Arbeiten darin gut oder schlecht zu finden. Entsprechend hatte ich vor Ort zwar keine Probleme, love-Zettel zu verteilen (und es dabei auch ganz interessant zu finden, zu sehen, wo sich solche häuften), habe die hate-Zettel aber alle für mich behalten. Als Einstieg in die Auseinandersetzung mit der Ausstellung ist die Methode aber ganz brauchbar. Sie produziert in jedem Fall Gesprächsbedarf. Und das ist ja schon mal ein erster Schritt. (Falls die Zettel da immer noch rumliegen, können sie jetzt aber – denke ich – weggeworfen werden. Das war wohl ein Missverständnis darüber, wer hinterher wieder aufräumt)
Was ich aber mitschwingen höre, wenn ich „Vermittlungs-Vermittlung“ lese, halte ich im Fall dieser Veranstaltung doch für recht unangebracht. Da haben meine beiden veranstaltenden Kolleginnen Christine Heil und Jutta Zaremba doch in deutlich weiterem Horizont gedacht.
danke für eure feedbacks einerseits als mitkurator und andererseits als camp-teilnehmer!
@love-hate: das scheint mir auch eine frage der planerischen „schnittstelle“ zu sein – und die war bei unserer veranstaltung eure wirklich hervorragende und engagierte kunstvermitllung. jedenfalls zeigt sich die auf jeden fall vorhandene ambivalenz des love-hate-prinzips auch daran, dass eine andere mitkuratorin der ausstellung von den polarisierenden zetteln sehr angetan war… what can you do…;)
Ist doch großartig! Noch eine Woche später lagen love/hate Zettel in der Ausstellung? „Schmuggeln“ fällt mir spontan ein – Werkzeuge die vergessen wurden. Und die Institution, Diskurs- und Ordnungshüterin, hat sie nicht entfernt? Waren die Aufsichten zu lange in Absurdistan?
@Torsten Meyer – die Zettel hab ich natürlich sofort weggeräumt wenn ich drüber gestolpert bin, und jetzt wäre es – zwei Wochen nach dem Ausstellungsende (!) eh schon etwas spät ^^ „Vermittlungs-Vermittlung“, ja, das war vielleicht etwas negativ formuliert. Aber das war ja eben mein Punkt, dass ich nicht das Gefühl hatte dass der Prozess nach „außen“ hin – und hier war eben ich als Co-Kurator plötzlich auch das „außen“ – transparent war, und so nur als ein interner Dialog von Vermittler_innen verblieb.
Lustigerweise sind die Zettel wohl auch im obersten Geschoss in der „Hirschfaktor“-Ausstellung gelandet, die nichts mit TGC zu tun hatte ^^
@Carina – Ja nu, die „Institution“ als Geist des Museums habe ich hier noch nicht nächtens beim Aufräumen gesehen Vielleicht wäre es aber ein schönes Projekt, an großen Museen wechselweise jemanden aus dem Personal als allegorische Repräsentantionsfigur zu benennen, der oder die dann stellvertretend als die Institution handelt. Und obwohl unsere Aufsichten während unserer Show tatsächlich etwas politisiert wurden (bisher hatten sie quasi die Anweisung, sich möglichst nicht für die Kunst zu interessieren) – wenn die Zettel nun „unter Aufsicht“ im Rahmen eines ZKM-Projekts verteilt wurden, werden die Aufsichten sie ja auch nicht auf eigene Faust wegräumen.
Hi Jacob, die Idee ist hervorragend! man könnte Meschac Gaba fragen, ob er eine
Louis Quatorze Perücke dafür strickt und vielleicht wäre es ein angemessener Auftakt, wenn Peter W. die erste Woche der Nachtschicht übernimmt. Allerdings könnten wir auch über das Bärenkostüm von Mark Wallinger nachdenken. Wir könnten Carsten Höllers Soma reichen und auf reichlich Erkenntnisgewinn hoffen. So wäre in der dritten und auf dem weg zur vierten Generation der Institutionskritik auch diesmal nicht die Institution abgeschafft, aber ein weiteres mal an ihren grenzen performt, quod erat demonstrandum!
best, carina