Kongressbericht – Vielstimmigkeit dank zwölf Veränderern: BuKo12 in Dresden – kunst.pädagogik.partizipation
Posted: 30.12.2012 | Tags: Diskussion, dokumentation, Dresden, Grundschule, Interkultur, Kongress, Kunst, Kunstpädagogik, Kunstunterricht, Partizipation, Publikation, Schule, Tagungsbericht, You | 1 Comment »von Cynthia Krell & Jörg Grütjen
(Fotos: Roland Baege)
„Ich fand die ganze Struktur, dieses Zusammenspiel von diesen ganzen Vortagungen sehr produktiv für den Gesamtkongress, für den Abschlusskongress an diesem Wochenende und fand einfach auch, dass über die zwei Jahre ganz viel passiert ist. Also das hat mir ganz viel gebracht, weil ich war – glaube ich – auf fünf Vortagungen.“ Robert Hausmann
„Ich arbeite in dem Bereich partizipatorische Grundschulbildung und ich finde diese Tagung sehr anregend, weil verschiedene Positionen dargestellt werden.“ Antje Dalbkermeier
Um es gleich zu sagen: Dies war mit Sicherheit der jüngste Bundeskongress der Kunstpädagogik, den es je gegeben hat. Wer waren die 280 Teilnehmenden vom 19. bis 21. Oktober? Sehr viele Studierende, zahlreiche Vertreter der kulturellen Bildung aus Museumspädagogik, Kunst- und Musikschulen, sowie etliche Angehörige des wissenschaftlichen Nachwuchses und des akademischen Mittelbaus, nur wenige Lehrerinnen und Lehrer – und natürlich einige, augenscheinlich aber nicht alle der üblichen Kongress-Junkies, die so gut wie jede kunstpädagogische Tagung besuchen.
Dabei hatte sich der BuKo12 mit dem Begriff „Partizipation“ gerade die Anzettelung von Kommunikationsplattformen auf die Fahnen geschrieben, um aktuelle Positionen der Kunstdidaktik in Dialog zu bringen: der Kongress als Ort der Begegnung, des Netze-Knüpfens und des Dialogs. Denn Partizipation ist nicht von allein möglich, dafür müssen gezielt Räume geschaffen werden. (Prägnantes Symbol dieses Ansatzes waren im Nachhinein etwa die schönen Räume unter der Kuppel der Kunsthochschule in Dresden. Hier war man am Samstagabend beim Sektempfang zu Gast, um eine große informelle Kommunikationsskulptur zu bilden.)
TAG 1
Nach den einleitenden Grußworten von Jun.-Prof. Dr. Sara Burkhardt (Technische Universität Dresden) sprach Prof. Klaus Vogel (Direktor Deutsches Hygiene-Museum Dresden) über das 100-jährige Jubiläum des Museums sowie über das Conditio-Humana-Leitthema der Ausstellungen. Als politische Vertreterin betonte Dr. Silvia Matalik (Bundesministerium für Bildung und Forschung) die Bedeutung von kultureller Teilhabe für Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft und formulierte daraus resultierende bildungs- und kulturpolitische Konsequenzen. Auch Martin Klinkner (2. Vorsitzender des geschäftsführenden BDK-Vorstands) ordnete den Leitbegriff der Konferenz, Partizipation, in einen gesellschaftspolitischen und fachlichen Kontext ein. Stellvertretend für das zwölfköpfige BuKo12-Team stellte Prof. Dr. Torsten Meyer (Universität zu Köln) nicht nur die Leitidee des Bundeskongresses vor, sondern machte einen Rundumschlag, in dem er das Team, die einzelnen BuKo-Parts, sowie die bereits veröffentlichten Bücher und das Programm eloquent präsentierte.
Der erste Beitrag von Prof. em. Dr. Wolfgang Legler (Universität Hamburg) leistete einen historischen Rückblick im Sinne einer einführenden Vorlesung: Thema war der erste Kunsterziehungstag in Dresden (1901) und der „Vierte internationale Kongress für Kunstunterricht, Zeichnen und angewandte Kunst“ (1912), auch in Dresden. Der kompakte Vortrag oszillierte zwischen ideengeschichtlichen Entwicklungen, fachlichen Orientierungen, historischer Einbettung, Fachgeschichte und humorvollen Anekdoten über die damalige Kongresskultur. Ein wenig offen blieben jedoch die Fragen nach der Aktualität von kunstpädagogischen Traditionslinien und den thematischen Bezügen zur Konferenz.
Kulturerbe, Kunstwerke (als bloß kunstgeschichtliche Artefakte), Kontaktzonen
„Tradition – Wie kann Kunstpädagogik zur Partizipation an kulturellem Erbe und kultureller Vermittlung beitragen?“ Auf diese Leitfrage antworteten die vier eingeladenen RednerInnen mit sehr heterogenen Impulsbeiträgen. Vor dem Hintergrund einer globalisierten Gesellschaft und entsprechenden Bildwelten habe, so Prof. Dr. Marie-Luise Lange (Technische Universität Dresden) in ihrem Thesen-Vortrag, die Kunstpädagogik sowohl eine interkulturelle Vermittlungsaufgabe als auch eine kritische Aufklärungsfunktion. Es gehe darum, die „visuellen Kulturen in ihrer Tradition und ihrer Gegenwärtigkeit in Verknüpfung zu geschichtlichen, geografischen, politischen, philosophischen, religiösen Faktoren, aber auch in ihren Widersprüchen, Umbrüchen, Revolutionen und Zwängen erlebbar und kritisch hinterfragbar zu machen“. Auf die Frage, wie die Kunstpädagogik dieser komplexen Aufgabe in der Unterrichtspraxis gerecht werden könne, schlug die Referentin vor, etwa ein „interkulturelles Frühstück“ mit SchülerInnen im Kunstunterricht performativ aufzuführen. Inwiefern dadurch die interkulturelle Toleranz gefördert werde oder es sich um eine zeitgemäße Form der Partizipation im Kunstunterricht handle, konnte nicht weiter vertieft werden.
Prof. Dr. Frank Schulz (Universität Leipzig) warnte mit seinem Beitrag vor einem neuen Formalismus in der Kunstpädagogik und vor der Gefahr, Kunstwerke zu rein kunstgeschichtlichen Artefakten zu degradieren. Der Kunstunterricht könne SchülerInnen als erlebende Subjekte am kulturellen Erbe partizipieren lassen. Als Beispiel diente Schulz die ganzheitliche Rezeption eines Kunstwerks; dabei könnten die SchülerInnen sowohl rezeptiv-reflexiv als auch künstlerisch-praktisch auf ein Werk antworten. Dadurch werde die Teilhabe am Fühlen und Denken der Menschen in einer bestimmten Zeit ermöglicht.
Mit einem Bild-Vortrag folgte Prof. Dr. Jutta Ströter-Bender (Universität Paderborn), wobei sie alle im Titel auftauchenden Schlagwörter („Traditionen. Kulturerbe. Kunstpädagogik. Partizipation“) anhand von Beispielen konkretisierte. Die Kulturerbe-Vermittlung befinde sich in einem Spannungsfeld zwischen „dem Wunsch nach authentischer Erfahrung und Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten und der Anerkennung von institutionellen Beschränkungen durch Denkmalschutz, ökonomische Vorgaben und soziale Hierarchien“. Der Partizipation werde daher die Funktion eines Brückenbaus zugeschrieben. Aus den unzähligen vorgestellten Beispielen war der Hinweis auf subversive Formen des Partizipierens am kulturellen Erbe für den schulischen Kontext besonders erhellend: etwa die Karnevals-Teilnahme in Venedig durch Touristen oder das urbane ‚Guerilla Gardening’.
Einen Kontrapunkt zu der kunstpädagogischen Diskursfront bildete das Statement von Prof. Dr. Nora Sternfeld (Aalto University, Helsinki, FL), die nicht nur als Kunstvermittlerin, sondern auch als Kuratorin und Kunsttheoretikerin aktiv ist. Sternfeld versteht Partizipation als die Teilhabe an der Definitionsmacht über den Kultur-und Wissens-Kanon in einer Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund bezeichnete sie die Kunstpädagogik (bzw. den Kunstunterricht) als „Kontaktzone“ (= sozialer Raum) der Wissensproduktion. Hier könne ein unter Subjekten geteilter Raum der Auseinandersetzung verhandelt werden, zum Beispiel über die Themen „Kultur“ und „Erbe“. Im Unterricht könne sodann über die folgende Frage diskutiert werden: „Was wurde wann, warum und unter welchen Bedingungen zum kulturellen Erbe?“
Zusammenfassend lässt sich dagen, dass für die sich anschließende Podiumsdiskussion der vorgegebene Zeitrahmen zu eng war. Zwar konnten einige Verständnisfragen aus dem Publikum geklärt werden, aber eine tiefer gehende Diskussion, beispielsweise über die Leitfrage des Tages, war nicht möglich. Außer Nora Sternfelds Standpunkt ähnelte das Podiumsgespräch einem affirmativen Reigen zugunsten der bestehenden Traditionen im Fach – zu wenig kritisches Potential, widersprüchliches, innovatives Gedankengut.
„Publikumsanwälte“
Für die Podiumsgespräch hatte die moderierende Prof. Dr. Christine Heil (Kunsthochschule Mainz) zwei „Publikumsanwälte“ ernannt, Gila Kolb (Friedrich Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) und Konstanze Schütze (Universität zu Köln). Überall in den Stuhlreihen waren unbeschriebene Zettel ausgelegt, auf denen man Fragen oder Diskussionspunkte für das Podiumsgespräch notieren konnte. Die Publikumsbeiträge wurden durch studentische Hilfskräfte zu den zwei Publikumsanwältinnen getragen. Ein anderer Kommunikationsweg bestand darin per eigenem Klapprechner, Smartphone oder mit im Saal herumgereichten iPads zu twittern. Ausgerechnet an diesem Punkt verlangte Dr. Klaus Nikolai vom Dresdner Trans-Media-Labor Hellerau „seine Stimme“ zurück. Er wolle nicht per Zettel oder Twitter mit dem Podium kommunizieren. Zwar kann man konzeptuell die redaktionelle Auswahl und Zusammenfassungen solcher „Publikumsanwälte“ kritisiere, aber vielmehr wurde durch diesen Kommentar folgende Situation deutlich: Die Organisierenden waren bereits mit einem Dilemma gestartet indem sie eine Veranstaltung mit flachen Hierarchien, Publikumsaktivierung bzw. Partizipation zu gestalten. Nun wurde ihnen vorgeworfen, dass sie dem Publikum die Stimme verweigern würden. Man merkt: Wer Partizipation moderieren will, begibt sich dadurch gerade wieder selbst in eine Machtposition und das Publikum reagiert paradoxerweise verärgert und fühlt sich entmündigt.
TAG 2
Der zweite Tag in Dresden stand ganz unter dem Zeichen der „Aktion“, nicht zu verwechseln mit Aktionismus, und einer weit gefassten Fragestellung: „Wie kann Kunstpädagogik zur Interaktion mit einer von Heterogenität, Pluralität und hochgradiger Mediatisierung geprägten (Welt-)Gesellschaft qualifizieren?“ Vorneweg – diese Frage kann weder die Kunstpädagogik als Fachdisziplin noch ein kunstpädagogischer Kongress beantworten. Das Publikum begab sich somit gemeinsam mit den ReferentInnen des Tages auf einen offen angelegten Such- und Forschungsprozess.
Auf eine weltumspannende Bildungsreise von Burkina Faso über Dubai in die USA und zurück nach Deutschland schickte Diederik W. Schönau (CITO-Dutch, National Institute for Educational Measurement, Anrheim, NL) die KongressteilnehmerInnen in seinem Vortrag über „Globalisierung und Individualisierung der Kunstpädagogik“. Dabei wurde deutlich, dass der globale Trend einer positiven Wertschätzung der kulturellen Bildung von Seiten der Politik sich vorwiegend durch arbeitsmarktpolitische und wirtschaftliche Interessen begründen lässt. Schönau betonte, dass das Fach Kunst bei der Vermittlung von zukunftsrelevanten Kompetenzen („21st-Century-Skills“) eine Vorreiterrolle übernehme. In seinem Abschlussplädoyer präsentierte Schönau ein visionäres, stark an der Eigenverantwortung orientiertes Lehr-und-Lern-Konzept für einen zukünftigen Kunstunterricht: Kindern und Jugendliche solle es innerhalb einer globalisierten Welt ermöglicht werden, die eigene Individualität zu gestalten.
BuKoCamp
„Ich war ein bisschen skeptisch diesem Programm gegenüber [BuKoCamp] und fand aber, dass es wirklich gut geklappt hat und dass sich viele auch einfach melden und einfach mitmachen. Das fand ich gut. Und das war sehr vielseitig das Programm dadurch.“ Eva Viefhaus
Kongressesteilnehmde konnten sich für den zweiten Teil des Vormittags zwischen drei unterschiedlichen Veranstaltungsformaten entscheiden: einem „BuKoCamp“ (einer Spontan-Mitmach-Konferenz), dem Workshop „Kunstpädagogik International“ und/oder einem Vortragsblock. Vor der Entscheidung partizipierten alle Anwesenden im großen Saal am offenen Planungsprozess des „BuKoCamps“, welches von Prof. Dr. Torsten Meyer moderiert wurde. Dabei stellten die potentiellen BuKo-WorkshopleiterInnen ihr jeweiliges Thema vor, zu welchem dann per Hand ein Abstimmungsbild beim Publikum eingeholt wurde. Ab zehn Stimmen gab es grünes Licht. Einige Workshops waren auf einer virtuellen Plattform vorab vorbereitet worden; daneben konnte man aber auch spontan in der Saalsituation ein weiteres Thema vorschlagen, um es mit einer Gruppe zu diskutieren – was auch tatsächlich passierte. Nach der räumlichen und zeitlichen Zuordnung der BuKoCamp-Workshops konnte das Bundeskongress-Publikum für zwei Stunden in kunstpädagogische Parallel-(Mikro)-Welten ausschwärmen.
Aus der Vielzahl von BuKoCamp-Workshops wird im Folgenden beispielhaft über den Inhalt des Workshops von Kristin Klein (Studierende, Technische Universität Dresden) berichtet. Sie grenzte zunächst den Begriff „Augmented Reality“ ein und präsentierte zahlreiche Projekte und Anwendungsbeispiel dieser Technologie. Unter „Augmented Reality“ versteht man die Erweiterung der Wahrnehmungskanäle durch eine oder mehrere weitere, mediale Informationsebenen mittels mit entsprechender Software ausgestattete Geräte wie Smartphone, Tablet-Rechner, eReaderund Computer mit Kamera.. Anhand der Projekte wurde deutlich, dass dieses Medium nicht nur kommerziell für Marketing und Werbung, Technik oder Entertainment verwendet wird, sondern Laien und KünstlerInnen diese auch kreativ nutzen. Es wurde über die mediale Ästhetik, kunstpädagogische Bedeutung(en) sowie Einsatzmöglichkeiten im Kunstunterricht diskutiert.
Im Rahmen der Abschlussdiskussion am Sonntag wurde vielseitig über das BuKoCamp gesprochen – häufig mit Emphase. Einige hätten Bauchschmerzen gehabt, bei solch einem Veranstaltungsformat mitzumachen. „Oh Gott, dass muss ich mir jetzt auch noch antun“, so eine leider uns unbekannte weibliche Stimme aus dem Publikum. Denn im ganzen Teilnehmerfeld hatte maximal eine Handvoll solch eine Konferenz-Form schon einmal erlebt; aber, so die Dame weiter, sie sei am Schluss begeistert gewesen. Man solle der Eigendynamik dieses Veranstaltungsformats trauen. Eine Studentin ergänzte, man würde merken, dass die Fach-Community erst dabei sei, Partizipation zu lernen.
Dilemma der Partizipation
„Ich fand das ganz schön, was sie [Meike Aden] am Ende gesagt hat, dass es wichtig ist als Kunsterzieher oder als Kunstpädagoge nicht so stark ein technizistisches Verständnis zu verfolgen, sondern Kreativität zuzulassen, mutig zu sein […], um echte Partizipationsräume zu ermöglichen; also keine, die von Institutionen vorgegeben werden, um dann am Ende das vorgegebene Ziel zu erfüllen, sondern die Schüler zu selbstdenkenden, kritischen, selbstbestimmenden Menschen zu machen.“ Katrin Rickerts
Dr. Maike Aden (Universität Bremen) bezeichnete in ihrem Vortrag den Staatsapparat Schule als grundlegend anti-partizipatorisch; sie begründete dies mit bestehenden Macht- und Wissensordnungen, institutionellen Rahmenbedingungen und vorherrschenden Rollenzuweisungen. Dadurch werde in der Schule ein ständiges „Dilemma der Partizipation“ generiert. Sie stellte die kritische Frage, inwiefern und ob schulische Partizipationsprojekte Kinder und Jugendliche tatsächlich dazu befähigen würde, ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu artikulieren. Für die Schule und den Kunstunterricht forderte Aden die Bereitstellung „partizipatorischer Räume“ – wobei auch LehrerInnen aktiv werden können, falls sie gegen die Lehrplanwirtschaft aufbegehren wollten. SchülerInnen benötigen nach Meinung der Referentin (in Rekurs auf Heideggers „Wesen zu Besinnung“) zeitlich ausreichend Angebote zur „Besinnung“– indem sie sich in Gelassenheit zum Fragwürdigen üben, Ambiguitäts- und Differenzerfahrungen sammeln und sich auf eine Suche nach persönlichen Maßstäben und Bedeutungen begeben.
„Ich glaube, das Programm war einerseits vielseitig und abwechslungsreich. Andererseits kann man sich jetzt im Nachhinein sicherlich auch über einiges austauschen, sodass man eben womöglich mehr gelernt hat als wenn man zu einem einheitlichen Programm gegangen wäre, denke ich.“ Stefan Heithorst
Auch das Nachmittagsprogramm war von Optionen bestimmt: Entweder konnte man sich drei Vorträge anhören oder zwischen vier, je zweistündigen Workshops wählen. Thematisch bezogen sich die angebotenen Workshops auf Beiträge aus dem zweiten BuKo-Buch „Revisit“: Unter der Leitung von Dr. Ansgar Schnurr und Dr. Ernst Wagner wurde über zentrale Aspekte von Interkultur, Globalität und „Diversity“ in der Kunstpädagogik diskutiert; dabei flossen die Ergebnisse der Interkultur-Tagung BuKo-Part08 ein. Gemeinsam wurden neue Handlungsperspektiven entworfen. Im Wokshop von Adam Page, Prof. Dr. Wolfgang Zacharias und Prof. Dr. Ulrike Stutz wurde das Schulprojekt „Die 12 Veränderer“ (seit 2011) vorgestellt, welches partizipatorische und Community-basierte Strategien verfolgt. Unter den TeilnehmerInnen entwickelte sich eine lebhaft kontroverse Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen solcher Projekte für eine sozialräumlich orientierte Kunstpädagogik.
„Spiel / Raum / Kunst / Pädagogik: Welche Kunst-Pädagogik braucht die Grundschule?“ – so hieß ein weiterer Workshop von Silke Riechert, Prof. Dr. Andreas Brenne und Prof. Mario Urlaß: Hier war das Kunstschulen-Projekt „Zukunftslaboratorium“ Basis für eine kritische Diskussion. Die Gruppe sammelte abschließend Ideen und Umsetzungsmöglichkeiten. Außerdem formulierte man Kriterien für eine partizipatorisch orientierte Kunstpädagogik in der Grundschule.
Die Frage nach dem Transfer der universitären Lehre in die Praxis stand im Mittelpunkt des Workshops von Prof. Dr. Andrea Sabisch und Dr. Rudolf Preuss. Ausgangspunkt waren „Ästhetische Expeditionen“, ein Veranstaltungsformat, das seit 2011 in Hamburg durchgeführt wird. Man debattierte über zentrale Aspekte einer sachgerechten und kollegialen Austauschkultur in Schule, Hochschule und außerschulischen Bildungs- und Kultureinrichtungen.
Kaleidoskop: Medien und Jugendkulturen
Die Vorträge hatten alle einen Bezug zum ersten BuKo-Buch „Shift“ und widmeten sich dem Schwerpunkt Medien und Jugendkulturen: So zeigte Dr. Jan Grünwald (Goethe-Universität Frankfurt am Main) zahlreiche Bild- und Videoerzeugnisse aus der Subkultur des Black Metals, die im Spannungsfeld von Abweichung und Aneignung entstehen. Er machte „Ästhetiken der Überscheitung“ visuell an konkreten Bildmotiven, Stilelementen und Männlichkeitsdarstellungen nachvollziehbar – kreative, teils subversive Aneignungen und Weiterführungen in Bildern und Videos.
Dr. Elizabeth Losh (Sixth College, UC San Diego, Kalifornien, USA) war eine der zahlreichen internationalen Gäste auf dem Kongress. Im Wesentlichen stellte sie das von ihrer Fakultät entwickelte CAT-Programm („The Culture, Art and Technology-Program“) als Projekte-Marathon vor: Dabei kommentierte sie jedes Projekt mit wenigen Sätzen und zeigte dazu Bilder – am Ende war einem vor lauter Projekte-Dropping ganz schwindelig.
Der letzte Vortrag von PD Dr. Benjamin Jörissen (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) trug den Titel „Transgressive Artikulationen. Zum Zusammenhang von Kunst, Medialität und Kultureller Bildung“. Für Jörissen ist „Artikulation mehr als bloßer Ausdruck: In ihr verschränken sich Prozess und Werk, Ausdruck und Anerkennung, schließlich Subjekt und Kultur“. Gemäß seinem Verständnis seien Bildungs- und Subjektivations-Prozesse grundsätzlich in mediale Artikulationsprozesse eingebettet und gingen aus diesen hervor. Ein in diesem Sinne komplexer Artikulationsbegriff, so die von Jörissen formulierte These, könne dazu beitragen, „die immer wieder betonte besondere Bedeutung von künstlerischen (im Sinne von transgressiven) Artikulationen für Bildungsprozesse medientheoretisch reflektiert zu verstehen“.
Die Kettel-Billmayer-Diskussion – ohne Protestflieger und Partizipation
Nach der Kaffeepause überraschte Prof. Dr. Helene Skladny (Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Bochum) mit einem historisch-anekdotenreichen Beitrag: Sie präsentierte kontroverse Diskussionsäußerungen vom ersten Kunsterziehungstag 1901. Damals trafen sich knapp 250 TeilnehmerInnen; darunter waren nicht nur Lehrpersonen, sondern auch Staatsvertreter, Verwaltungsleute, Kunstprofessoren, Museumsdirektoren und Künstler. In ihrem knapp zehnminütigen Vortrag stellte Skladny die wichtigsten Meinungen und Gegenpositionen vor – das Publikum reagierte mit kollektiven, spontanen Zustimmungs-oder-Gegen-Äußerungen.
Ein eigenes performatives Format hatten sich Univ. Prof. Franz Billmayer (Universität Mozarteum Salzburg) und Prof. Dr. Joachim Kettel (Pädagogische Hochschule Karlsruhe) für den „Call for Square“ konzipiert: Sie inszenierten sich in einem öffentlichen Disput zur Streitfrage „Kunst im Unterricht“. Als Moderator wurde Dr. Rudolf Preuss (Universität Paderborn) eingesetzt. Billmayer äußerte sich über Bild und Bildung, Normalkultur und „Wurstbilder“, schwache und starke Bilder, gegen ein sehr begrenztes, elitär bestimmtes Cliquen-System der zeitgenössischen Kunstwelt. Kettel setzte ihm das Konzept der künstlerischen Bildung und die Nähe zur Kunst entgegen. Psychisch und physisch saß Rudolf Preuss zwischen den Stühlen. Zum Schluss präsentierte Franz Billmayer in einer angenehm humorvollen Geste eine Art BuKo-Statistik per Zollstock-Visualisierung: Er hatte die bis dahin in den Medien greifbaren Texte der BuKo-Veranstaltungsreihe ausgewerte. Er wollte damit demonstrieren , wie oft Begriffe wie „Partizipation“ oder „Kunst“ (für Billmayer völlig überrepräsentiert) verwendet wurden.
Gegen Ende der Show verteilte eine beherzte Design-Studentin, die wohl etwas von Kommunikations-Guerilla mitbekommen hatte, in den hinteren Reihen stapelweise Kopien mit der Anleitung zum Falten von Papierfliegern. Aber: Kein Protestsegler wurde geworfen, vorne bei der Diskurs- und Moderationshoheit wurde der Zwischenfall anscheinend gar nicht bemerkt. . Denn das Publikum ist unberechenbar und lässt sich vor allem nicht vorschreiben, auf welchem Weg es seinen Unmut artikuliert. Die Studentin meinte zu ihrer Bastelanleitungs-Aktion:
„Also es ist einem ja selber überlassen, was man damit macht. Man kann aber auch wenn man Lust hat, sich an seine Kindheit erinnern und sich einen Papierhub bauen oder einen Flieger und den einfach mal so in die Runde reinwerfen. […] Es war halt nur so ein Input, so, ihr könntet ja mal drüber nachdenken etwas zu machen. [Die Kettel-Billmayer-Diskussion] war, ich glaube, auch zu interessant, als dass man die Papierflieger wirklich hätte fliegen lassen können. Das habe ich halt schnell gemerkt.“ Nora Kühnhausen
Zeit für einen Meinungsaustausch mit dem Saalpublikum blieb leider nicht, weil man pünktlich zum Sektempfang weiterziehen musste (vgl. auch den Bild-Kommentar von „Frollein Motte“ im Netz).
„Aber es [das Billmayer-Kettel-Gespräch] ist dann doch für den Sektempfang abgebrochen worden, wo es gerade am spannendsten wurde. Also da hätten eigentlich einfach alle sagen müssen, wir bleiben jetzt hier und hören noch mal eine Stunde zu.“ Franziska Wilke
Der wohl für kurze Zeit in der Community bekannteste Kunstpädagogik-Student Deutschlands, Maxim Sundermann von der TU Dortmund, eroberte sich trotz der kritischen Blicke der Saal-Moderation ein Mikrofon. Diese konnte das studentische Störmanöver nur akzeptieren, weil es aus dem Saal laut als „Cultural hacking“ bezeichnet wurde und damit wieder als cool, weil zeitgeistig, durchgewinkt werden konnte. Die Tragik solch einer Szene besteht darin, dass die Veranstaltenden erleben, vom Publikum als selbstermächtigt kritisiert zu werden – trotz des programmatisch partizipatorischen Ansatzes.
Reaktionen
„Ja, ich habe das Gefühl, dass es sehr produziert wurde, dieses ganze Streitding. So von Anfang an einfach. Wir wurden auch schon mit den Worten hier eingeladen, das Schönste ist das Streitgespräch zwischen Billmayer und Kettel.“ (Unbekannte Studentin)
Die Saalgemeinde reagierte polarisiert auf die Franz gegen Jo-Show: Die steigenden Verkäufe von Joachim Kettel-Publikationen am folgenden Sonntagmorgen signalisieren einerseits ein wohlwollendes bis vermehrtes Interesse; andererseits:
„Ich habe auch vermisst, dass eigentlich über den ästhetischen Prozess an sich nicht direkt geredet wurde. Es wurden zwar Methoden besprochen, einerseits das Experimentelle, was ich nachvollziehen konnte, was der Herr Kettel gesagt hat. Die Methode von Joachim, ne von Franz wurde nicht besprochen, […] um es den Schülern bewusst zu machen, was Kunst alles machen kann.“ Martina Lamiseiwich
Wie schon erwähnt und wie es der Programmzettel des BuKo andeutet, hat sich das Duo Billmayer/Kettel selbst per „Call for square“ aufs Podium gebracht: Man konnte bei dieser Aktion im Vorfeld des BuKo Beiträge einreichen, welche „die Lücken in der bisherigen Arbeit der Initiative identifizieren und füllen“ (Programm-Formulierung) sollten. In diesem Sinne haben sich Billmayer und Kettel also als so wichtig empfunden, dass sie die große Samstagabend-Show bestreiten durften. Die beiden Professoren haben sich also per Partizipation und Eigenermächtigung aufs Podium gebracht – um sich dann ganz als klassische Vertreter einer Vor-BuKo-Zeit zu erweisen: Sie verstanden sich als sendungsbewusste Prediger in eigener Sache („Ich aber sage euch“, Neues Testament, zitiert nach Skladny auf dem BuKo); dabei haben die ach-so- gegensätzlichen, aber im Habitus letztlich doch ähnlichen Streithähne vergessen, dass sie auf einem Kongress mit dem Leitbegriff Partizipation auch dem Publikum die Möglichkeit zur Nachfrage geben sollten: Sie vertreten einen klassisch messianisch-sendungsbewussten bzw. akademischen Stil von Kunstpädagogik-Profession.
Die Billmayer-Kettel–Debatte war maximal auf der Diskurshöhe von 2007 (dem Kongress in Dortmund), denn die Professoren suggerierten eine falsch verblendende Binär-Oppositionsbildung: Hätte etwa eine Diskussion zwischen Prof. Dr. Hubert Sowa und Prof. Dr. Christine Heil nicht die ursprüngliche Konfliktlinie der Dresdner Veranstaltung sichtbar gemacht? Andererseits: Gibt es im komplex heterogenen Feld der Kunstpädagogik überhaupt noch diese herrlich vereinfachenden Oppositions-Strukturen und Achsen-Systeme?
Die Positionen-Achse „Kunst-Gläubigkeit“ vs. „keine Kunst mehr, mehr Kaufhaus-Analyse!“ ist jedenfalls kaum noch zeitgemäß, wenn man sich einige Leitthemen des BuKo12 anschaut (Globalisierung, Medialisierung, überhaupt Vielstimmigkeit und Komplexität aller Verhältnisse). In den Worten des „Call for square“-Beitrags von Robert Hausmann & Matthias Laabs, die sich selbst als eine der „Positionen einer jungen Kunstpädagogik“ verstehen: „Eindeutige Weltsichten sind out …“, „Der Grabenkampf um die Paradigmen „aktuelle Kunst“ und „Bildorientierung“ interessiert uns nicht.“ Und besonders signifikant für den Wandel im Zeitgeist: „Scharfe Trennungen sind Vergangenheit.“ (http://realraum.wordpress.com/2012/10/24/denn-sie-wissen-nicht-immer-was-sie-tun)
Beim Sektempfang
Im Anschluss gab es einen kollektiven Umzug in die Hochschule für Bildende Künste Dresden zu einem durchaus produktiv-partizipatorischen Akt des Sekttrinkens:
„Ok, meine Meinung dazu ist, dass so wie die Diskussion läuft, es leider nie zu dem Punkt kommt, an dem der andere sozusagen zur kritischen Selbstreflexion der eigenen Position geführt wird. Es bleibt also jeder in seinem Sektor und zieht die Mauer hoch und dann gibt es im Grunde keinen Kontakt. Aber es geht genau um diesen Kontakt. Man muss das Problem soweit treiben, dass man merkt, die Probleme hängen miteinander zusammen.“ Unbekannter Student
„Ich bin hier, weil ich hier wohne und weil ich unglaublich gespannt war, was es da alles zu hören gibt, was die aktuelle Diskussion anbetrifft. Ich bin manchmal etwas irritiert, wie wenig wissenschaftlich das abläuft, wenn sich Menschen gegenseitig so attackieren. Aber insgesamt bin ich ganz begeistert und beflügelt und motiviert […], auch wieder mehr, was schon mehrfach angesprochen wurde, auch in die Literatur zu gucken. […] Ja, also das finde ich total inspirierend und finde ich ganz spannend und auch die Leute mal in echt zu sehen, die irgendwie die Bücher schreiben. Das ist ganz schön faszinierend […], dass man die Leute in echt erlebt und mit ihren Fragen und mit ihren Statements hören kann.“ Ann-Christin Harder
„Ganz interessant ist die Parallele zwischen 1901 und 2012, dass wir ja tatsächlich ganz oft über das Gleiche diskutieren, und dass wir immer versuchen, die Kunst gegen die Pädagogik in irgendeiner Weise auszuspielen, anstatt einfach mal produktiv von beiden Seiten zu lernen. […] es ist ganz entscheidend, dass Kunst und Pädagogik ein sehr gutes Zusammenspiel entwickeln.“ Helene Skladny
TAG 3
Im morgendlichen Filmprogramm fiel als kleiner selbstironischer Kurzkommentar ein trashig kurzes Godzilla-Video auf: Das sympathisch wilde Wesen aus dem Untergrund (als Symbolfigur einer Haltung?) erobert sich in einem Akt der Selbstermächtigung die (Kunstpädagogik?-)Welt! Aber haben die zwölf BuKo-Aktivisten, meistens allmählich aus der akademischen Existenzgründungsphase herausgewachsen, diese Bissigkeit nötig? Bei den Filmen spielten überhaupt Fortbewegungsmittel eine große Rolle: War dieses Frühstückskino eine metaphorische Selbstpositionierung im fachpolitischen Feld? Die zwölf Veränderer mit dem BuKo-Banner unterwegs zu immer neuen Abenteuern, um aktuelle Perspektiven zu gewinnen, genauso wie die Studentenhelden in den in Dresden gedrehten Kurzfilmen? Sollten die Verhältnisse umgedreht werden, wie es eine Gruppe aus Afrika spielerisch in Videoform brachte: Aktivisten aus Ghana versuchen heldenhaft die Probleme der ersten Welt zu lösen – etwa zu wenig Möglichkeiten von amerikanischen Rentnerinnen für Sex! ( ghanathinktank.org)
Vielleicht, Vermittlung, Sinnbildungsprozesse
„Der Grund, weshalb ich hier bin, ist eigentlich ein einfacher: Es ist für mich eine Motivation hier zu sein. Es ist für mich eine Horizonterweiterung und ich muss echt zugeben, ich kann viele Vorträge nicht einordnen und frage mich, was wollen wir. Ich wusste auch nichts über das Camp zum Beispiel. Für mich ist die Organisationsform des Kongresses interessant. Das habe ich auch noch nicht erlebt. Also für mich ist es der Grund, weshalb ich hier bin, die Inspiration. Und ich merk’ auch, das hat es auch bei mir wieder ausgelöst, die Lust: Die Lust am Fach. Das passiert auch. Ich bin jetzt seit drei Jahren im Job und hab Kollegen, mit denen ich mich prima austauschen kann. Und auch die Lehrerausbildung in Hamburg hat mir viel gebracht und hat mir sehr gut gefallen und trotzdem find’ ich es schön, da mal auszubrechen und ja vielleicht auch neue Kontakte zu knüpfen.“ Lena Böhm
Als Ausstellung war viel über die dOCUMENTA (13) in den Medien zu lesen – aber auch das Vermittlungsprogramm hatte mit seinem Konzept mediale Aufmerksamkeit erhalten: Die Leiterin der „Vielleicht-Vermittlung“ der dOCUMENTA (13), Julia Moritz, stellte in ihrem Vortrag das Vielleicht-Konzept und das Vielleicht-Veranstaltungsprogramm, die Vielleicht-Vermittlungsformate und Vielleicht-Methoden vor – ohne tiefergehend über die Vielleicht-Zielansprache oder Vielleicht-Wirksamkeit zu reflektieren. Eine ihrer Thesen lautete: „Vielleicht nicht zu wissen, daher sollte Vermittlung am Rande des eigenen Wissens positioniert werden“. Vielleicht ist dazu auch nicht mehr zu sagen als: „what we do when we don’t know what we’re are doing“ (so der Vortragstitel der Referentin).
Was Julia Moritz uns Kunstvermittlern in Dresden verschwiegen hat: Bei den Ausstellungsführungen im Kasseler Sommer 2012 war man sehr stolz auf die Auswahl der Vermittler: Engagierte, in unterschiedlichsten Fachbereichen qualifizierte Personen konnten den Besuchergruppen die präsentierte Kunst nahe bringen – nur eben professionell ausgebildete Kunstvermittler wohl so gut wie nicht.
„Eine unmögliche Möglichkeit der Vermittlung der Fähigkeit zur Vermittlung von Kunst“ – so hieß der folgende Vortrag von Prof. Heinrich Lüber (Züricher Hochschule der Künste, CH). Er nahm eigene Performance-Aktivitäten als Künstler und Forschungsprojekte an seinem Institut zum Ausgangpunkt. Seine Definition und Vorstellung für eine Kunstpädagogik von Übermorgen lautet: „Labor des produktiven Strauchelns“; denn an der Züricher Hochschule der Künste werde versucht, auf eine Stärkung der kunstspezifischen Erkenntnisformen in ihrer Unwägbarkeit, in ihrer konstitutiven Unabschließbarkeit zu setzen.
Ihre Vision eines „Sinnbildungslernens in der Gegenwart“ (im Gegensatz zu einem „Lernen für später“) skizzierte Lisa Rosa (Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, Hamburg). Sie beschäftigte sich mit der Zukunft des Lernens. Im Zentrum stand die Frage: „Wie also können wir unsere Kinder auf die Zuverlässigkeit des Unzuverlässigen, auf Überraschungen, auf radikale Veränderungen und auf das Unbekannte vorbereiten?“ Rosa argumentierte mit dem Konzept des Sinnbildungslernens, wobei jeweils aktuelle Gegenwart und persönliche Sinngebung elementar seien. Für die Zukunft bedeute das zum Beispiel: Lernen heißt nicht mehr, alle lernen dasselbe allein, sondern alle lernen Verschiedenes gemeinsam. Lernen heißt nicht mehr Vorbereitung auf die Zukunft, sondern Realisierung persönlichen Sinns in der Gegenwart als Modell für zukünftige Sinnbildungsprozesse. Abschließend stellte die Referentin folgende Gleichung auf: „Kunstlernen 2.0 = Projekte, Kreativität, Experimente, Sinn, Fantasie, Flow, Begeisterung, Freude versus „Bulimie-Lernen“ – hierfür gab es positive Zustimmung und reichlich Applaus aus dem Publikum.
Eine partizipative Fishbowl-Diskussion mit dem Publikum
Für die abschließende Fishbowl-Diskussion mit dem Publikum (eine Diskussionsmethode für sehr große Gruppen) machte die über Nacht geänderte Stuhlordnung endlich Sinn: Denn einige Stuhlreihen waren nicht mehr aufs Podium gerichtet, sondern zu einem Innenkreis angeordnet. Dort saßen die Moderatorin Prof. Dr. Anja Besand (Technische Universität Dresden), die ReferentInnen des Tages und einige Mitglieder des BuKo12-Teams. Der erste Teil der Diskussion widmete sich den Vorträgen des Tages, der zweite Teil hatte den BuKo12 selbst zum Gegenstand als Résumé, Kritik und Ausblick.
Der erste Teil der Diskussion war geprägt von Reaktionen und Rückmeldungen aus dem Publikum, die sich auf die einzelnen Redebeiträge bezogen. Prof. Dr. Maria Peters wunderte sich, warum der letzte Beitrag den meisten Applaus erhalten habe; sie merkte an, dass das Thema „Kompetenzorientierung“ nicht thematisiert bzw. verhandelt worden sei. Julia Moritz ging auf das Kinder- und Jugendprogramm „Das alternative Curriculum“ von Claudia Hummel ein: Insgesamt hatten sich 65 KünstlerInnen am Projekt beteiligt, indem sie künstlerische Materialien für Kinder und Jugendliche bereit stellten und dazu Handlungsanweisungen formulierten. Lisa Rosa ergänzte ihr Konzept um die Frage der Machbarkeit, um Lehr-und-Lern-Verhältnisse neu zu konstituieren. Vorwiegend fehle es den meisten LehrerInnen an zeitlichen Lernräumen für eigene Möglichkeitserfahrungen. Abschließend merkte Dr. Rudolf Preuss an, dass es bereits Lehrpersonen gebe, die sich gegen die „Lehrplanwirtschaft“ stellen würden. Er appellierte an die an- und abwesenden oder auch zukünftigen LehrerInnen: „Mehr Mut zur Unterrichtsgestaltung und zum Experiment!“
Der zweite Teil der Diskussion konzentrierte sich auf einen Austausch über die Tagungsformate und Formen der Teilhabe innerhalb der BuKo-Veranstaltungs-Reihe. Prof. Dr. Andrea Sabisch (BuKo12-Team) erläuterte das Prinzip der „Ästhetischen Expeditionen“: Bei diesem Veranstaltungsformat ist es Ziel, VermittlerInnen aus Schule, Hochschule und Museum in ein fachliches Gespräch zu bringen und lokal zu vernetzen. Dabei seien die Diskussionen und Reflexionen über Lehr-und-Lern-Formen sowie das Nachdenken über eigene Rollen- und Selbstverständnisse sehr produktiv. Gemäß Prof. Dr. Torsten Meyer (BuKo12-Team) sei das Konzept der Konferenz sehr gut aufgegangen; dies gelte sowohl für die acht lokalen Teiltreffen als auch für die abschließende BuKo12-Veranstaltung in Dresden. Insgesamt habe er den Eindruck, dass es Vertrauen in der Fach-Community gebe und dass Partizipieren als produktiv empfunden werde. Gila Kolb vom BuKo12-Team äußerte sich über Twitter als Möglichkeit für ein partizipatorisches Tagungsmedium und schloss mit der Bemerkung ab, dass man Teilhabe lernen müsse. Ein Studierender äußerte sich sehr positiv über die Formen der Teilhabe, die er bei diesem Kongress erlebt habe. Er fühle sich als Studierender ernst genommen, könne am Diskurs teilhaben und sich mit seinen Fragen direkt an die Autoren-Generation der aktuellen Fachpublikationen wenden. Marc Fritzsche (Buko12-Team) berichtete aus der Arbeit des zwölfköpfigen Veranstaltungsteam; er betonte, dass die Entscheidungen kollektiv getroffen worden seien. Dr. Ansgar Schnurr (BuKo12-Team) plädierte für eine Kultur der Vielstimmigkeit und Diversity – auch im Rahmen von zukünftigen Kongressen. Ruppe Kosselek kritisierte den fehlenden Kontakt zwischen der Kunsthochschule Dresden und dem Fachverband der Kunstpädagogik spezifisch im Rahmen dieses Kongresses. Univ. Prof. Franz Billmayer, Organisator des nächsten Bundeskongresses, regte das Publikum dazu an, Ideen und Anregungen für den nächsten Kongress in Salzburg zu sammeln. Eine Studierende merkte kritisch an, dass das Twittern ohne entsprechende Medien wie Smartphone und Laptop nicht möglich gewesen sei. Sie fühlte sich dadurch ausgeschlossen. Weiterhin machte ein Studierender aus Dresden den Vorschlag beim nächsten Bundeskongress verstärkt LehrerInnen mit Redebeiträgen und Praxisbeispielen einzuladen, um den praktizierenden KunstpädagogInnen mehr Bedeutung und somit Wertschätzung entgegenzubringen. Lena Stab schlug vor, beim nächsten Kongress ReferentInnen zum Thema „Inklusion in der Schule“ einzuladen.
Im letzten Teil dieser Diskussion wurde die zentrale Frage thematisiert: Was nimmt man von diesem Kongress mit? Ein Studierender berichtete über den erfolgreichen Fachkongress der von Kunstpädagogik-Studierenden für Kunstpädagogik-Studierende organisiert wurde. Es solle in Zukunft einen zweiten Studierendenkongress geben, um die Vernetzung und den fachlichen Austausch auszubauen. Ein Kongressteilnehmer aus München lobte das Experiment zu den unterschiedlichen Tagungsformaten und Formen der Teilhabe.
BuKo2012-Bestseller-Liste
Bei den Verlagsständen ergab sich als Fazit nach den drei Veranstaltungstagen folgendes (Verkaufs-)Bild: Bei kopaed aus München waren „mit großem Abstand die beiden BuKo12-Bände sowie auch der von Frau Stutz“ („Zu einer strukturellen Partizipation in der kunstpädagogischen Praxis“) Verkaufsschlager, so Dr. Ludwig Schlump auf Email-Anfrage. „Allerdings ist das auch ein bisschen ungerecht, da wir diese ja zum Super-Sonderpreis angeboten haben“, so der Verleger weiter. Rolf Duscha mit seinem Oberhausener Athena-Verlag war überrascht: Am letzten Tag des Kongresses hat er noch einmal ordentlich Umsatz gemacht. Christian Rittelmeyers „Warum und wozu ästhetische Bildung?“ führte seine Verkaufshitliste in Dresden an. Außderdem wurden zahlreiche Publikationen zu der „Künstlerischen Bildung“ nachgefragt, etwa Joachim Kettels „Selbstfremdheit“ aus dem Jahr 2001. Das heißt, das Tagungsvolk reagierte in seinem Einkaufsverhalten deutlich auf die Samstagabend-Diskussion.
Fazit einer Lehrerin
„Die Konferenz begann am Freitagabend damit, dass ich mich mit der Frage konfrontiert sah, warum ich überhaupt hier sei. Das überrascht, wenn man als Kunstlehrer auf dem Kongress des BDK ist.
Auf jeden Fall sind Lehrer nur einzeln vorhanden und scheinen etwas anderes zu wollen als viele der anderen Anwesenden. Deshalb ist die oben erwähnte Frage aus dem Mund einer Künstlerin möglicherweise konsequent. Manchmal ist die alte These, Kunstpädagogik fängt da an, wo sie von anderen Personen als von Kunstlehrern betrieben wird, in den Köpfen einiger Anwesender noch zu spüren. Öffnung von Schule ist richtig, aber das Rückgrat der Organisationsform Schule ist der Unterricht und wird es rein aus organisatorischen Gründen wahrscheinlich zunächst bleiben. Der nachhaltig abgehaltene Kunstunterricht ist etwas Wertvolles, nur so werden möglichst viele Schüler erreicht. Unterricht mit seinen institutionellen Anforderungen gehört aber scheinbar für viele zum feindlichen System Schule, welches eingenommen werden soll, und scheint deshalb viele von denen, die jetzt in Schule hinein drängen, nicht zu interessieren.
Daneben irritiert auch immer wieder diese Humorlosigkeit, mit der viele von außen über das System Schule und ihren Kampf mit den Trägheiten und Widerständen berichten. Eine Humorlosigkeit, die ich mir gar nicht erlauben kann, da mich dieses absurde Theater, dass wir Schule nennen, jeden Tag umgibt.
Nicht dass wir Lehrer nicht auch daran arbeiten Schule zu verändern, aber das geht spürbar langsam, deshalb nützen die Utopien einer fernen idealen Schule zur Richtungsfindung und nicht zum Abgleich. Als Lehrerin muss ich jetzt in diesen Bedingungen guten Unterricht bieten, die These, dass guter Unterricht erst in einer anderen Schule möglich sein wird, ist da problematisch.
Zu den Absurditäten im Alltag gehören auch häufig die Veränderungen, die die an sich guten Prinzipien wie zum Beispiel „Partizipation“ im Schulalltag durchlaufen und sie manchmal auch in ihr Gegenteil verkehren. Deshalb waren viele der Vorträge produktiv, da sie nicht immer und immer wieder die Ideale hinter dem Prinzip wiederholt haben, sondern den Blick auch auf kritische Aspekte gerichtet haben. Bei allem positiven Bemühen, waren die rein organisatorischen Schwierigkeiten bei versuchter konsequenter Partizipation ja schließlich auch zu spüren.
Aber ich wollte ja partizipieren, vor allem indem ich Gedanken aufnehme, mich mit ihnen auseinandersetze, meinen eigenen Standpunkt festige und das eigene Handeln reflektiere. Diesen Input habe ich reichlich erhalten, ich komme gerne wieder.“
Katharina Blömer (per Email)
Aktivierung und Vielstimmigkeit des Publikums
Die inhaltliche Vielstimmigkeit und Bandbreite des Programms ist sicher der Heterogenität des Feldes der zwölf BuKo-Organisierenden zu verdanken: Prof. Dr. Andreas Brenne, Jun.-Prof. Dr. Sara Burkhardt, Marc Fritzsche, Prof. Dr. Christine Heil, Gila Kolb, Prof. Dr. Torsten Meyer, Prof. Dr. Andrea Sabisch, Dr. Ansgar Schnurr, Prof. Dr. Ulrike Stutz, Prof. Mario Urlaß, Prof. Dr. Tanja Wetzel und Dr. Jutta Zaremba. Dabei ergänzten sich all deren verschiedene BuKo-Ideen komplementär zu einem stimmigen Eindruck.
Der BuKo12 in Dresden spielte mit vielen Formaten, um die Anwesenden miteinander ins Gespräch zu bringen: die Fishbowl-Runde, eine Spontan-Mitmach-Konferenz, Publikumsanwälte, Ausstellungs-Beiträge (ähnlich wie Poster, meist jedoch in dreidimensionaler Form), Workshops, Vorträge, Impulsreferate, Streitgespräche zwischen zwei Hauptvertretern bekannter antipodischer Positionen (die einen Moderator mit „Streitschlichtererfahrung“ brauchten (so dessen Selbstcharakterisierung).
Neben dem Mut zu Format-Experimenten gab es für die Ängstlichen, Ratlosen und Konservativen klassische Vorträge. Das Anliegen war erkennbar, trotz aller Experimentierfreude gleichzeitig relativ seriös aufzutreten: Wolfgang Legler dozierte gleich zu Beginn in einer langen historischen Vorlesung über die Dresdner Kunsterziehertage von 1901 und 1912. Den Geltungsanspruch des BuKo sollte diese historische Perspektive offensichtlich untermauern. Zu diesem Zeitpunkt wünschte man sich fast schon wieder (wie beim Kölner BuKo-Part) eine Twitterwall, Live-Netz-Berichterstattung oder zeitnah zusammenfassende Videos am Schluss eines Tages.
Das Bestreben der Zufriedenstellung unterschiedlichster Ansprüche des Publikums bemerkte man immer wieder in Dresden: Zu erwähnen sind das Angebot zu Stadtführungen an den Abenden (sehr, sehr schön), die Einrichtung von Ladestationen bzw. Steckdosen, damit die Akkus der Klapprechner zwischenzeitlich wieder gefüllt werden konnten, sehr intensiv vorbereitete Anmoderationen, drei Bücherstände, allgemein der komfortable Tagungsort des Hygiene-Museum, der Vermeidung von allzu riskanten Errungenschaften wie Twitterwalls, mit denen es wohl mal im Laufe der BuKo-Reihe Enttäuschungen gab. Zudem wurde das Anliegen deutlich, durch eine entsprechende räumliche Inszenierung und Möblierung den kommunikativen Austausch und informelle Begegnungen zu ermöglichen. So gab es Stehtische im Saal, Lounge-Situationen mit Sitzgelegeneheiten, , einen geselligen Sektempfang unter der Kuppel der Kunsthochschule. Darüber hinaus hatte sich das Veranstaltungsteam weitere Kommunikationsmedien und Sozialformen ausgedacht wie zum Beispiel die „Call for Square“-Aktion bzw. deren Exponate, Aufkleber in der Tagungsmappe, um sich hierauf Kennenlern-Tags schreiben zu können, relativ viele Pufferzeiten, so dass Pausen für Gespräche wirklich hinreichend lang waren, ein überaus nett gemachter Kneipenplan für die Dresdner „Neustadt“, sehr schöne Video-Kurzfilme zum „Aufwachen“ für den Morgen danach, die Möglichkeit zur Twitter-Partizipation per herumgereichten iPads, die schon erwähnten „Publikumsanwälte“, der öffentliche Hahnenkampf Billmayer vs. Kettel, Saft, Wasser, Kaffee, Kekse in großen Mengen …
Insgesamt überzeugte auf der ganzen Linie die professionelle Organisation der Tagung, die hauptsächlich von Sara Burkhardt, Torsten Meyer und Carina Herring verantwortet und durch zahlreiche studentische Mitwirkende unterstützt wurde.
Der absolute Wille zur Vielfalt der Aktivitätenformen wird auch im Programmzettel des BuKo12 betont: „Unterschiedlichste Formate – von der Ausstellung über Foren, Open Space und medialen Interventionen bis hin zu Vortragssituationen – ermöglichen die Partizipation der Kongressbersucher/-innen in unterschiedlichen interaktiven Formen.“ Aber das Tragische und das Schöne all der von den Veranstaltenden verordneten Partizipationsmaßnahmen „von oben herab“ ist: Das Publikum ist unberechenbar. Die Teilnehmenden geben den Veranstaltungen auf jeden Fall eine andere Bedeutung, als die Veranstaltenden es sich erhofft haben. Denn das Publikum reagierte zuweilen zwiespältig auf die BuKo-Reihe. Die Veranstaltenden betrieben Partizipation, Dezentralisierung, Verflüssigung des Diskurses – und trotzdem wurde ab und zu beklagt, die programmatisch formulierten Ansprüche der Partizipation seien nicht erfüllt worden.Aber das Bestreben um die Erweiterung der Wege zur (Fach-)Öffentlichkeit istaußerordentlich zu loben; es gab im Verlauf der Veranstaltungsreihe so viele Publikationswege wie noch nie bei einem Bundeskongress der Kunstpädagogik: unterschiedliche Formen der Internetpräsenz, die Verteilung von Sticks mit Materialien, Livestreams, Broschüren, gleich drei Buchpublikationen.
Die BuKo-Initiative verstand sich offensichtlich als ein „Publikumsanwalt“: Und deshalb war dies ein sehr pädagogisch gedachter Kongress. Denn er wurde deutlich mit Blick auf die Teilnehmenden geplant. Die Grundhaltung war in der Gestaltung der Programmpunkte nicht schulmeisterlich belehrend, sondern man plante für Menschen, die man nachdrücklich ernst nehmen wollte. In diesem Sinne gilt: Ein Bundeskongress der Kunstpädagogik oder vergleichbare Veranstaltungen sind auch immer eine Art Mikro-Utopie des gelingenden Gesprächs in der Fachwelt. Die BuKo-Initiative hat sich selbst zugemutet, was wir unseren Schülerinnen und Schülern täglich zumuten: sich zu bewegen, Schritte in ein noch ungesichertes Gebiet zu wagen. Umso trauriger ist es, wenn sich Teile des Fachpublikums dieser Anstrengung nicht unterziehen wollten. In der Kunstpädagogik wird so viel von kostbaren Irritationen gesprochen; wenn man sich aber dem Austausch mit Andersdenkenden und allgemein einer neugierigen Grundhaltung verweigert, ist zu befürchten, dass irgendwann die Studierenden bzw. die Lehrerinnen und Lehrer von morgen manches kunstdidaktische Lebenswerk nicht mehr ernst nehmen und zur Alterswerksammelstelle bzw. zum Altpapier tragen.
„Ich finde es nicht so förderlich, dass die alten Männer, die vor zwei Jahren den Kongress gemacht haben, nicht anwesend sind […] nachteilig eigentlich für die ganze Fachsituation […] Habe ich heute auch getwittert, es wäre auch produktiv, wenn die […] auch die Kongresse der anderen besuchen.“ Robert Hausmann
Bundeskongresse 2003, 2005, 2007, 2009, BuKo 2010-2012
Welche Rolle spielen Bundeskongresse der Kunstpädagogik eigentlich in der Fachwelt? Sicherlich sind sie Plattformen für Initiationsriten der Fach-Community: Studierende betonten, wie schön es sei, die Gesichter von Autorinnen oder Autoren zu sehen, von denen man schon so viel gelesen habe, und sogar mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Zeitschriften-Herausgeberinnen und Herausgeber freuen sich, mit Autorinnen und Autoren nicht nur per Email zu kommunizieren; mit dem an solchen Orten häufig zu beobachtenden Wechsel vom förmlichen „Sie“ zum „Du“ werden ins Diskurs-Milieu einsteigende Jungkräfte rituell in die Fachfamilie aufgenommen. Alte Hasen, die üblichen Verdächtigen, Fachgrößen ermöglichen es dem Nachwuchs, sich per Workshop-Leitung, Anmoderation oder auch durch Vorträge ins (Fach-)Gespräch zu bringen. Über die Reihe der Bundeskongresse – München 2003, Leipzig 2005, Dortmund 2007, Düsseldorf 2009, BuKo 2010-2012 – konnte man Karrieren verfolgen: Andrea Sabisch etwa ereiferte sich 2003 noch aus dem Publikum heraus über die Vergreisung des damaligen Kongresses, Marc Fritzsche war 2005 noch der „Scanman“ in den hinteren Reihen des Publikums. In Dortmund leitete Sabisch dann im Team einen Workshop, so dass man im Laufe der Jahre ihren Aufstieg zur Mitveranstalterin eines Bundeskongresses verfolgen konnte. Auf diese Weise stiftet die Reihe der Bundkongresse eben auch personelle Kohärenz: Nach außen wird Kunstpädagogik sichtbar, weil durch Personen repräsentiert; nach innen werden Rollen innerhalb des Fachgefüges geprägt. Die Aufgabe solcher Kongresse ist es eben, per face-to-face-Kommunikation Beziehungen zu stiften.
Lehrerinnen und Lehrer sind hierbei die schwierigste Klientel, weil sie u.a. beruflich im Zeitbudget weniger flexibel sind: Ich [J.G.] erinnere mich, während eines Kongresses mal Klausuren korrigiert zu haben. Aber man kann nicht erwarten, dass es ein Kongress leisten kann, im Sinne einer Lehrerfortbildung aktuelle und relevante Themen so aufzubereiten, dass man am nächsten Montag damit Unterricht machen kann.
Dass so wenig Lehrerinnen und Lehrer in Dresden waren, ist schade. Woran könnte das gelegen haben? Eine Kunstlehrerin aus NRW, die trotz Herbstferien nicht nach Dresden gefahren war, meinte: Der Auftritt der BuKo-Initiative etwa im Internet sei ihr einfach zu „verklausuliert“ vorgekommen.
Tragik: unfreiwillige Gemeinsamkeit der Kongresse in Düsseldorf und Dresden
Der BuKo2010-12 sollte auch im Zusammenhang mit den Querelen des Vorgängerkongresses gesehen werden (siehe BDK-Mitteilungen, Heft 1/2010) – aber dieser BuKo hat es nicht verdient, allein als Gegenveranstaltung verstanden zu werden. Der Abschluss in Dresden war nur ein Teil des BuKos, die anderen Parts sind nicht zu vergessen – und in der Programmatik der Initiativgruppe wahrscheinlich sogar wichtiger einzuschätzen als das Happy-End in Sachsens Elbflorenz. Trotzdem ist der Abschluss-Part wichtig für die öffentliche Wahrnehmung der ganzen Veranstaltungsreihe des BuKo; das Finale ist wahrscheinlich auch deshalb konzipiert worden, um in der Fachwelt prägnant sichtbar zu werden.
Die Bundeskongresse in Düsseldorf (2009) und Dresden (2012) haben gemeinsam, dass beide in gewisser Weise programmatisch versuchten, die Ganzheit der Kunstpädagogik in den Blick zu bekommen: In Düsseldorf beabsichtigte man wohl, eine orientierende Mitte des Faches zu definieren; Hubert Sowa etwa wollte (und will bis heute wohl immer noch) einigen in seinen Augen obskuren kunstpädagogischen Abschweifungen Einhalt gebieten (vgl. BuKoTagungsband 02, S. 233-234). Nach den Erfahrungen in Düsseldorf sollte mit der BuKo-Staffette, also verschiedenen „Parts“ inklusive dem Schlussakt in Dresden, hingegen eine diskursive Fülle ermöglicht werden: Die Veranstaltungsreihe hat versucht, dezentral möglichst an vielen Stellen zu sein, eine Vielstimmigkeit zu kultivieren, um so eine Ganzheit zu erfassen bzw. zu bilden: „Das Konzept des Kongresses ist in seinem Anliegen zugleich regional und überregional, fachspezifisch und interdisziplinär, zielgruppenorientiert und breitenwirksam, institutionell verankert und institutionsübergreifend.“ (erster Satz des Programmzettels)
Aber beide Versuche, die Komplexität der Ganzheit der kunstpädagogischen Welt in den Griff zu bekommen, wurden in gewisser Weise durch die kunstpädagogische Community durchkreuzt; das muss für die beiden Veranstalter-Teams sicher vergleichbar traumatisch erlebt worden sein: In Düsseldorf gab es nicht nur einige Buhrufe (live und online), sondern vor allem gründete sich die BuKo12-Initiative. Beim BuKo12 dagegen wurde klassisch passiver Widerstand geleistet: nämlich durch einen (hoffentlich) unabgesprochenen, aber eben habituell tief verankerten Antrieb zum Boykott des Besuchs des BuKos in akademischen Kreisen (aus Ablehnung des dauernden Wandels?). Akademische Akteure begründen ihr Fernbleiben wahrscheinlich mit der Behauptung der Absehbarkeit der mangelnden Qualität der Veranstaltung, oder dass die Themen uninteressant gewesen seien und und und. Kurz: Man spricht von außerhalb dem BuKo Geltungsanspruch und Deutungshoheit ab. Dahinter stecken ganz offensichtlich massive Rangeleien um die Diskurshoheit.
Produktivität des Dazwischen
Wenn man polemisch die Gegenüberstellung altes Lernen – neues Lernen aus dem Vortrag von Lisa Rosa auf das Tagungsformat übertragen wollte, könnte man polarisieren: In Düsseldorf ging es um die Hoffnung auf klärende „Orientierung“, in Dresden um komplex vielstimmige „Partizipation“. In Düsseldorf sahen die Veranstaltenden die Kunstpädagogik auf Irrwegen, man wollte für die Zukunft die Richtung weisen. Die „Generation BuKo“ sieht dagegen vor allem die Vorteile von Vielstimmigkeit, Vorläufigkeit, Über-Komplexität. Die BuKo-Aktivisten betonen die Gegenwart, die Aktivierung aller, das Ergreifen der Teilhabe; dafür verflüssigten sie das Tagungsformat, räumlich wie zeitlich wie personell – viele kleine Teil-Veranstaltungen anstatt einer einzigen Großkonferenz. Das Erleben von in sich geschlossenen Ganzheiten und Systemen ist ihnen völlig fremd. Und, ganz zentral: Die Gegenbehauptung der eigenen Setzungen wurden im Dresdner BuKo nicht nur zugelassen, sondern sogar unterstützt – man denke an die Beiträge von Maike Aden („Das Mantra Partizipation“), von Billmayer und von Kettel. Deshalb können die zwölf BuKo-Veranstaltenden einen Begriff wie „Orientierung“ nicht in den Mund nehmen, misstrauen diesem Begriff förmlich. Die Erfahrung von Einheit im Erleben von (kunstpädagogischer) Welt ist ihnen fremd, deshalb werden Beziehungen und Relationen immer wichtiger: Sie erhoffen sich eine „Produktivität des Dazwischen“, wie von Kerstin Asmussen schon 2010 ersehnt (Kerstin Asmussen: Und was sagt der Nachwuchs? In: BDK-Mitteilungen, Heft 1/2010, S. 9).
Letztlich hat sich in Dresden und wohl auch mit der BuKo-Reihe eine Menge von dem erfüllt, was Asmussen 2010 formuliert hatte: „Ich wünsche mir Vielfalt und mehrdimensionale Kommunikationsstrukturen. […] vielleicht wäre es möglich, den Bundeskongress der Kunstpädagogik weniger zentriert bzw. alleinstehend zu betrachten. Ich glaube, es ist wichtig, das Augenmerk zukünftig mehr auf die Nebenschauplätze des Diskurses zu lenken: Auf die Flurgespräche […] Impulsgebend wäre meines Erachtens ein Weiterdenken des Vorgestellten im Austausch zwischen den Generationen, ein Blick über den Tellerrand oder die Einbeziehung anderer fachlichen(r) Disziplinen.“ (Kerstin Asmussen: Und was sagt der Nachwuchs? In: BDK-Mitteilungen, Heft 1/2010, S. 8)
Und was bleibt inhaltlich? Die Aktualität der „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen“ von Friedrich Schiller wurde natürlich nicht geklärt, aber: Zentrale zeitgenössische Erfahrungen vermitteln sich gerade auch oft in kommunikativen Umgangsformen: 2012 eben mit Heterogenität und Vielstimmigkeit, Gleichzeitigkeiten des Diskursiven, neuen Medien. Daher sollte es der Fach-Community zukünftig ein größeres Anliegen sein, stärker Bezüge zur schulischen Praxis oder kulturellen Bildung herzustellen.
Wie der BuKo2010-2012 aus größerem Abstand zu bewerten ist, wird die Rezeption zeigen: Wenn der nächste Bundeskongress nach alten Mustern (so wahrscheinlich der Jargon der aktuellen Aktivisten) organisiert wird, wird dieser Bundeskongress 2010-2012 nur eine Fußnote in der bundesrepublikanischen Kunstpädagogik bleiben. Da nützt auch die „Voodoovokabel Partizipation“ (Maike Aden) nicht weiter. Wenn aber in Salzburg, dem verabredeten, wahrscheinlich nächsten Kongressort, Ideen und Spirit des BuKo12 aufgegriffen oder wenigstens sehr prominent vermisst werden, wird die BuKo-Reihe legendär werden und man wird sich lange ärgern, nicht dabei gewesen zu sein.
Weitere Berichte, Kommentare, BuKo-Veröffentlichungen (Auswahl, siehe auch www.kunst-paedagogik-partizipation.de und ):
– Aden, Maike: Das Mantra Partizipation (Download unter: www.maikeaden.com/home/fokus/)
– Branca, Claudia: Jetzt macht mal Partizipation! Tagungsbericht (im Erscheinen: BDK-Rundschreiben Rheinland-Pfalz, Frühjahr 2013)
– Brenne, Andreas/Sabisch, Andrea/Schnurr, Ansgar (Hrsg.): Revisit: # teilhaben # kooperieren # transformieren (Buch 02 der Reihe Kunst Pädagogik). München (kopaed) 2012
– Frollein Motte: Ein Kommentar zum Bundeskongress Kunst.Pädagogik.Partizipation in Desden (http://frolleinmotte.blogspot.de/2012/10/ein-kommentar-zum-bundeskongress.html)
– Fütterer, Werner: kunst.pädagogik.partizipation (www.bdk-online.info/blog/2012/10/23/4-bdk-forschungstag-buko12)
– Hausmann, Robert: Über BuKo12 (http://realraum.wordpress.com/2012/10/24/uber-buko12)
– Heil, Christine/Kolb, Gila/Meyer, Torsten (Hrsg.): Shift: # Globalisierung # Medienkulturen # Aktuelle Kunst (Buch 01 der Reihe Kunst Pädagogik Partizipation). München (kopaed) 2012
Grütjen, Jörg (Jg. 1967), Dr. ist OStR an einer Gesamtschule in Kamp-Lintfort sowie Lehrbeauftragter an der Universität Duisburg-Essen, E-Mail: JoergGruetjen@t-online.de
Krell, Cynthia (Jg. 1978), derzeit Doktorandin, freie Kunstvermittlerin und Kunstkritikerin. Promotionsvorhaben über die Kunstvermittlung und kuratorische Praxis im Biennale-Kontext. E-Mail: cynthia_krell@gmx.de
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit einigem Interesse verfolgte ich die Entwicklungen rund um Buko12, die mir von einer Bekannten/ Kollegin als „Erfrischungskur der Kunstpädagogik“ empfohlen wurde. Nach der Lektüre mehrerer Berichte, Thesen und Visionsformulierungen formiert sich allmählich eine Skepsis, die möglicherweise bezogen auf die reale Umsetzung dieser Konzepte im Unterricht nicht berechtigt ist, die aber eine deutliche Konsequenz von Form und Inhalt dieser Schriftdokumente ist. Hier beziehe ich mich auf Buko12-affine Webseiten, konkret jedoch auf die aktuellen Beiträge im neuesten BDK-Heft.
Mir fehlt ausdrücklich die Auseinandersetzung mit folgenden Inhalten:
konkrete Unterrichtsdokumentationen und Reflexion bezogen auf das Erreichen von altersgemäßen und sinnvollen Lernzielen
anschauliche und angemessen vertiefte Schilderungen von relevanten, ggf. vom allseits Bekannten abweichenden und somit inspirierenden Inhalten der Vorträge.
konkrete Aussagen zur Gewichtung dieser neuen Ansätze im Bezug auf traditionelle und bewährte Ansätze (wie handwerkliche Studien usw..)
reflektierte und kritische Auseinandersetzung mit Chancen und Grenzen dieser neuen Ansätze auf Basis konkreter und wiederholter Unterrichtserfahrung
Stattdessen finde ich mich in einer ermüdend langen Aufzählung von Namen, unanschaulichen Ultrakurzrückblicken und pathetischen Schlagwörtern (bevorzugt Anglizismen, die in der „Community“ wohl Anklang finden), und medialen Kommunikationsprozessen, die in der sprachlichen Form all das nicht leistet, was im traditionellen Kursstufenunterricht Ziel der sprachlich-theoretischen Arbeit ist: Anschaulichkeit, inhaltliche Reichhaltigkeit und Tiefe, Aussagekraft.
Einzig in einem Punkt gelingt dies annähernd: in der Schilderung der Form der Veranstaltung, so dass mich doch der Eindruck beschleicht, dass die Form des Kongresses der eigentliche Inhalt ist. Der Kongress wird hier – nicht ohne Pathos – als Avantgardeveranstaltung der Partizipation inszeniert. Die Übertragung auf die Schule bleibt diffus.
Was nicht gelungen ist: Es wurde kein Interesse geweckt, keine Motivation; kein Ansatz, den ich zur eigenen Erprobung inspirierend fände wurde ausformuliert.
Es bleibt der Eindruck einer gutgemeinten Vision, der die Substanz fehlt…eine Substanz, die durch konkrete Unterrichtserfahrungen und langjähriges Feilen an der Qualität dieses Unterrichtes gebildet wird.
Ist das alles womöglich eine theoretische, außerschulisch (universitär usw.) entstandene Denkarbeit? Die Arbeit mit Schülern erdet…und das ist angenehm.
Wenn es die vermissten Erfahrungen und Anregungen aber gibt, sollte es auch gelingen, diese in Beiträgen zu veranschaulichen.
Erwartungsvoll
Artus Kuhl