Kongressbericht: Form gleich Inhalt?

Posted: 27.03.2013 | 1 Comment »

von Bernadett Settele

Der Partizipationsbegriff durchzog die mit „Kunst. Pädagogik. Partizipation“ betitelte Veranstaltung, die die Diskussionen der acht vorangegangenen Arbeitstagungen (BuKo-Parts) zusammenführte, gleich in mehrfacher Weise. Es fiel auf, dass nicht einzelne, sondern ein Leitungskollektiv aus zwölf Personen die Konzeption und die Durchführung verantworteten. Zum Zweiten wurde versucht, mit der Einladungspolitik verschiedene Arbeitsfelder, die für das Fach heute wichtig sind, wie Sozialraumorientierung, Internationalität, etc. aufzugreifen. Und nicht zuletzt lässt sich feststellen, dass dieser neunteilige und dezentrale Bundeskongress darauf ausgerichtet war, eine Erfahrung mit partizipatorischen Formen der Wissensproduktion und -distribution zu ermöglichen. An der Abschlussveranstaltung in Dresden gab es Anklänge an die virtuelle Diskussion im Mixxt-Raum, ein Podium mit Publikumsanwältinnen und Tweets, BarCamps und eine Abschlussdiskussion in der Fishbowl-Methode. Die Tagung gab also den Teilnehmenden die Möglichkeit, Formate zu erproben, die ihnen zum Teil neu waren – und schrieb so Partizipation als Formentscheidung in die mannigfachen Inhalte ein.
101 Jahre nach dem ersten Kunsterziehungstag in Dresden macht der BuKo damit irgendwie auch symbolische Politik: Er möchte einen didaktischen Stil vertreten, der sich am Kernbegriff Partizipation orientiert. Er steht für den Versuch einer ausgewogenen Repräsentation der Fachdiskurse, und problematisiert Debatten mit binärer Grundlage und projektiven Zuschreibungen um „Kunst“ und „Bild“ in einer Art Reenactment, statt sie nur wiederaufzukochen. Er bringt Inhalte zu kultureller Bildung, zu Bildungspolitik, zu internationaler Theorie- und Praxisentwicklung, zu zeitgenössischer Kunst und Medienkultur, zu Ganztagsbildung sowie zu schulischen und außerschulischen Handlungsfeldern – also etwas von allem.
Gemäß einem pädagogischen Merksatz schafft (gelungene) Einbindung Konsens und verführt zur Identifikation. Dies lässt sich als vorherrschende Stimmung beim BuKo12 beschreiben: Viele hatten das Gefühl, dass für sie etwas Lohnendes, Relevantes dabei war, dass sie „teilgenommen“ und profitiert hätten, dass sie und ihre Belange zu Wort kamen. Gerade Stimmen aus der Praxis äußerten sich in der Feedbackrunde derart. Als positiv ist allemal der Versuch zu werten, Lehrende zu Multiplikator/innen von Methoden der Beteiligung zu machen. Doch das Potential der aus dem Aktivismus adaptierten Formate zur Kooperation in größeren Gruppen wurde nicht ausgeschöpft, und vielleicht wurde ihr Gehalt sogar verkannt. Ziel etwa des in der freien IT-Szene entstandenen BarCamps ist es, ein gemeinsames (technisches) Problem zu lösen. Am BuKo waren die BarCamps eher Gesprächsrunden: mit Zeitbegrenzung, dafür ohne Bar. 90 Minuten reichen denn gerade so, um ins Gespräch zu kommen, sind aber zu kurz für die Entwicklung gemeinsamer Fragen und vertiefte Diskussion, für relevante Antworten und gemeinsame Umsetzungsversuche. Auch von einem Zurückfließen des Erarbeiteten ins Plenum war keine Rede. Mit Fishbowl und BarCamp wurden radikal-demokratische Formen zur Moderation und Kooperation größerer Gruppen eingeführt, die Vielen zuvor wohl weitgehend unbekannt waren, durch ihre Adaption aber verloren sie ihr Potenzial. Echte Beteiligung zu schaffen, war nicht das Ziel. Der Bundeskongress als didaktisches Selbst-Experiment lebte er von der Spontaneität seiner Teilnehmer/innen, das Format BarCamp etwa wurde durchaus gefüllt. Als unterstützende Struktur hätte der BuKo jedoch noch weiter gehen können, etwa durch den Einsatz von Facilitators. Solche inhaltlich und methodisch eingearbeiteten Patinnen oder Paten hätten die fehlende Vorbereitung der und die unterschiedliche Verteilung von Moderationsfähigkeiten bei den oft spontan ins Amt gelangten BarCamp-Initiator/innen ausgleichen können. Und damit hätte der BuKo etwas mehr die Herkunft und die Ziele der Methoden ernstgenommen, die er sich da aneignete – zur Wissensproduktion und -verteilung –, und verhindert, dass sie als Moderations- und vielleicht sogar Herrschaftstool genutzt werden.
Immerhin: Die Leichtfüßigkeit, mit der die Teilnehmenden in Dresden eine heterogene Interessenslage in konkrete selbstmoderierte Diskussionsgruppen überführten, sollte meines Erachtens auch andere Kongresse dazu ermutigen, öfter die „kleine Form“ zu wählen.

Inhaltlich bot der Kongress Themen rund um Kunstpädagogik und ihre Handlungsfelder auf verschiedenen Ebenen dar: einerseits eine recht hohe Konkretheit etwa in den Projektvorstellungen und Workshops, wo Überlegungen und Strategien auf der Mikroebene vorgestellt wurden, wie zum Beispiel von Adam Page von Hertzsch/Page (Berlin). Daneben überwog die eher allgemeine Betrachtung auf der Makro-Ebene, wie sie in den Keynote-Vorträgen ausgeübt wurde. Ein Grundsatzreferat vereinfacht und bringt seinen Gegenstand ja auf knappe und griffige Formeln – etwa zu Bildungspolitik: Schönau, zu Erziehungswissenschaft: Rosa. Ihm fehlt die Genauigkeit und auch die Ironie, die andere BuKo-Formate hatten, wie etwa der auf der Bühne und explizit ohne Publikumsbeteiligung inszenierte Disput von Bild und Kunst (Billmayer und Kettel). Transversale Inhalte, mit einer Verknüpfung der Ebenen von Praxis, Reflexion und Theoriebildung, gab es in Inputs und Diskussionsbeiträgen von Nora Sternfeld, Wiebke Trunk und Heinrich Lüber. Themen der Forschung fehlten etwas, sie kamen aber am zuvor stattfindenden BdK-Forschungstag zur Sprache. Insgesamt richtete sich der Kongress – mit Projektvorstellungen und sehr allgemein gehaltenen „großen Themen“, mit griffigen „Methoden“ und einer recht großen thematischen Breite – wohl am Bedürfnis der Praxis aus, das er, dem Feedback nach zu urteilen, recht gut getroffen zu haben schien.
Geschichtliche Genauigkeit wurde dagegen vom Publikum nicht eingefordert. Zur Geschichte der Bundeskongresse sprachen Wolfgang Legler und Helene Skladny: genau vor 100 Jahren hatte schließlich ein ähnlicher, internationaler Anlass in Dresden stattgefunden (der 4. Internationale Kongress der Kunsterzieher). Legler verwies darauf, dass sich die wohlmeinenden Thesen der Reformpädagogik schon am allerersten Kunsterziehungstag 1901 an der sozialen Realität (Armut) gebrochen hätten. Der historische Ausblick geriet insgesamt dennoch eher nivellierend-freundlich als kritisch und konstruktiv. Überraschend nachsichtig gegenüber politisch rechten, nationalistischen und konservativen Positionen der Kunsterzieherbewegung (bei Legler) und kontextvergessen (bei Skladny). Das zwischen dem 4. Internationalen Kongress in Dresden 1912 und dem Heute liegende 20. Jahrhundert mit Erstem und Zweitem Weltkrieg, Drittem Reich, etc. entfiel denn auch in der Rückschau beider Redner/innen.

Als – auch – Theoretiker_in sei mir ein kritisch-konstruktiver Abschnitt erlaubt, der auf die drei „Leitfragen“ des BuKo12 eingeht und trotzdem zu einem emanzipatorischen Fazit für das Berufsfeld kommt.

  • Tradition – Wie kann Kunstpädagogik zur Partizipation an kulturellem Erbe und kultureller Übermittlung beitragen?
  • Aktion – Wie kann Kunstpädagogik zur Interaktion mit einer von Heterogenität, Pluralität und hochgradiger Mediatisierung geprägten (Welt-)Gesellschaft qualifizieren?
  • Vision – Wie kann Kunstpädagogik auf die Teilhabe an einer zukünftigen Gesellschaft vorbereiten, einer Gesellschaft, die es im Moment noch gar nicht gibt?

Besonders die erste Leitfrage, wie Kunstvermittlung zur „Partizipation“ an „kulturellem Erbe“ beitragen kann (ja, will sie das denn?), berührte definitorisch heikle Punkte, die durch die Podiumsdiskussion nicht geklärt wurden. Mehr Sorgfalt etwa gegenüber der Kontinuität kulturalistischer Rassismen – wie sie im Begriff „kulturelles Erbe“ (aka „Leitkultur/en“) anklingen – wäre mehr als geboten gewesen. Wie Nora Sternfeld in der Diskussion bemerkte, werde es der Heterogenität der Welt nicht gerecht, bestehende Kanones zu „vermitteln“. Es gilt vielmehr, den Kanon in der Vermittlung anzuzweifeln bzw. – mit den Anwesenden – neu zu schreiben. Sternfeld schlug vor, „contact zones“ der Partizipation als „conflict zones“ zur Aushandlung von unterschiedlichen, gesellschaftlich mithergestellten Subjektpositionen zu sehen: Kunstvermittlung als kritische Instanz in der Kultur. Eine ähnliche Position nahm Wiebke Trunk ein, die Beispiele für eine fachlich sorgfältige Vermittlungsarbeit an Ausstellungsinstitutionen vorstellte, die sich den Lyotardschen Begriff des Dissenses oder Rancières Widerstreit zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit nehmen.
Für eine Kunstpädagogik heute, die der – nun wieder sinnvolleren – zweiten und dritten Leitfrage des BuKo gerecht werden will, bleibt viel zu tun. Eine Kunstpädagogik also, die sich zweitens fragt, wie sie die Ewig-Gestrigen (junge und alte) fit für den Umgang mit einer heutigen, heterogenen Gesellschaft machen kann, und die drittens nach einer Rolle bei der Vermittlung nicht-normativer Werte, emanzipatorischer Verhaltensweisen und politischer Kompetenzen für eine kommende Gesellschaft sucht. Es gilt, auch bei sich selbst anzufangen; etwa mit dem paradoxen Task, ökonomisch und kulturell begründete Vorurteile und Sprechweisen, wie sie in der Rede von der „Bildungsferne“ aufscheinen, abzubauen und zu bearbeiten, ohne sie diskursiv zu zementieren. Für eine solche Kunstpädagogik bleibt viel zu tun, und sie kann nicht innerhalb ihrer ruhigen Kreise bleiben. Einige der vorgestellten Projekte (wie Hertzsch/Page) und einige Redebeiträge am BuKo (von Ulrike Stutz, Anselm Schnurr und anderen) zeigten den Anspruch nach Reflexion und nach einem professionellen Umgang mit der zugleich starken und schwachen Position als Kunstpädagog/in auf. Es wird nicht ohne inhaltliche Hausaufgaben abgehen, das Potenzial der vielen guten Fragen auszureizen, die sich aktuell in der kunstpädagogischen Praxis stellen (und die teils im BuKo12 wieder aufgegriffen wurden).
Wie kann es weitergehen? Vielleicht dadurch, die Konstitution eines neuen „Wir“ voranzutreiben, das sich in lokalen Arbeitsgruppen der Aufnahme neuer Theorien aus der aktivistischen Kunst und Sozialarbeit, aus antirassistischer Kultur- und Bildungswissenschaft, aus politischer Philosophie und politischer Ästhetik stellt. Um kultureller Diversität mit Offenheit und politischer Schlauheit zu begegnen, um die eigene Partizipationserfahrung in neue Arbeitsformen einfließen zu lassen (mit Teilhabe statt Teilnahme), um sich inspirieren zu lassen zum Experiment und den Bettel nicht hinzuschmeißen angesichts kulturpolitischer Vorgaben und Beschränkungen. Und vielleicht entsteht ja, in Fortsetzung des Mixxt-Raumes, ein virtuelles Kollektiv, das Ideen für den nächsten Kongress sammelt (der für Februar 2015 im Salzburger Mozarteum angekündigt ist, Veranstalter ist Franz Billmayer). Möglich wäre das, wenn eine/r schaut, wie produktiv und heiter die Abschlussdiskussion verlaufen ist.

Bernadett Settele, Kunstvermittlerin und -theoretikerin, forscht am Schnittpunkt von Kunst und Gesellschaft, Theorien und Praxen. 2007 Leitung Kunstvermittlung 5. berlin biennale, 2009-11 Hg. von Art Education Research, dem e-Journal des Institute for Art Education Zürich (online), 2012 Hg. von Kunstvermittlung in Transformation (Zürich: Scheidegger & Spiess). Seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Luzern – Design & Kunst.


One Comment on “Kongressbericht: Form gleich Inhalt?”

  1. 1 Artus Kuhl said at 15:57 on Mai 4th, 2013:

    „Tradition – Wie kann Kunstpädagogik zur Partizipation an kulturellem Erbe und kultureller Übermittlung beitragen?“
    Durch die geschickte Verflechtung von Wahrnehmung, Gestaltung und Reflexion am Beispiel geeigneter Phänomene, dazu eine fachlich und personell qualifizierte Person.

    „Aktion – Wie kann Kunstpädagogik zur Interaktion mit einer von Heterogenität, Pluralität und hochgradiger Mediatisierung geprägten (Welt-)Gesellschaft qualifizieren?“
    Zu Heterogenität, Pluralität: Durch Schaffung von Situationen zum Erleben von Qualitäten des Vertrauten und des Fremden mittels Auswahl geeigneter Phänomene in pädagogisch, didaktisch, methodisch professionell gestalteten Lernsituationen.
    Zu hochgradiger Mediatisierung: Indem man Chancen und Risiken thematisiert und zudem produktive Möglichkeiten praktisch erprobt, wobei stets ästhetische und inhaltliche Qualitäten thematisiert werden müssen, damit sich ein Qualitätssinn entwickeln kann. Dadurch werden Handlungsräume erschlossen.

    „Vision – Wie kann Kunstpädagogik auf die Teilhabe an einer zukünftigen Gesellschaft vorbereiten, einer Gesellschaft, die es im Moment noch gar nicht gibt?“
    Wie kann X auf die Teilhabe an einem inexistenten Y vorbereiten?
    Indem X Hypothesen über die Gestalt von Y anstellt oder Y als Vision entwirft, dann Vorbereitungsmethoden entwickelt und sie an einer Versuchsgruppe erprobt und auf Wirksamkeit (noch vor der Existenz von Y) untersucht. Oder verstehe ich da etwas falsch? Die Fragestellung erschließt sich mir nicht wirklich und die sich daraus ergebende Konsequenz halte ich für unsinnig.

    Vielleicht noch eine Rückmeldung von einem sprachlich Ewig-Gestrigen: „Herrschaftstool“, „paradoxe Tasks“, „Keynote-Vorträge“ o.ä. klingen für meine Ohren doch etwas seltsam.

    Grüße aus der Provinz

    Artus Kuhl


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